ZUERST KAMEN DAS ÖL UND DIE IRAKISCHE ARMEE, DANN VERSIEGTEN WASSER UND LYRIK. EINE ELEGIE AUF BASRAS PALMEN UND DICHTER
: Vom Mord an Dattelpalmen

VON NAJEM WALI

Badr Shakir al-Sayyab, Mahmud al-Brekan und Saadi Youssef sind drei große Dichter, deren Namen eng mit Basra verbunden sind. Der erste, geboren 1926, starb 1964 einsam in einem Krankenhaus in Kuwait und wurde an einem kalten, regnerischen Wintertag auf dem Hassan-al-Basri-Friedhof in Zubair (im Süden von Basra) beigesetzt. Der zweite, Jahrgang 1931, starb 2002 hilflos allein in seinem Haus, umgebracht von einem Dieb (dem eigenen Neffen!), und wurde auf demselben Friedhof begraben. Der dritte, geboren 1934, lebt noch, jedoch seit 35 Jahren im Exil, zuletzt in London. Alle drei, ohne deren Poesie die Entwicklung der heutigen arabischen Lyrik kaum vorstellbar ist (al-Sayyab gilt als Begründer des freien Verses in der arabischen Poesie), haben ihre Wurzeln in dieser Erde: Al-Sayyab und Youssef stammen aus Abu al-Khasib, al-Brekan aus Zubair.

Damit Lyrik sich entwickeln kann, braucht sie Wohlstand und sozialen Frieden. Darum haben die beiden erwähnten Vororte von Basra, heute mit der Stadt fast verwachsen, zahlreiche Wissenschaftler, Intellektuelle und Dichter hervorgebracht. Abu al-Khasib, das alte Städtchen, das seinen Namen Abu al-Khasib Marzuq (dem Rebellenführer im Sklavenaufstand von 225 gegen die Abbasiden-Dynastie) verdankt, hatte einen prachtvollen Palmenhain mit den edelsten Dattelsorten: Hilawy Sayyir und Barhi. Hier siedelten Familien, die Ende des 19. Jahrhunderts aus Nadsch und Hedschas (heute Saudi-Arabien) vor der Dürre fliehen mussten. Mit dem Export von Datteln, der Produktion von Dattelsirup, Essig und anderen Dattelprodukten lebte das Städtchen Jahrzehnte im Wohlstand.

Das Ende der Blütezeit

Auch Zubair blühte auf. Die Nähe zur Wüste machte es zum begehrten Ziel für Beduinen aus Nadsch, um sesshaft zu werden. Zubair war aber nicht nur ein Handelsplatz zwischen der Arabischen Halbinsel, dem Golf und Irak, sondern profitierte auch vom fruchtbaren Boden. Man pflanzte Gemüse, vor allem Tomaten, Gurken und Melonen. Öl wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entdeckt.

Wer heute die beiden Vororte von Basra besucht, findet kaum etwas vom alten Glanz. Zubair, das wegen seiner Ölfelder in den Golfkriegen Ziel heftiger Bombardierungen war, taugt nicht mehr zum Wohnen. Hinzu kamen die ethnischen Säuberungen zwischen 2006 und 2008, als der Bürgerkrieg tobte. In jener Zeit wüteten bewaffnete Banden in und um Basra. Entführungen und Morde wurden zum Alltag. Die meisten Urbewohner haben den Ort verlassen. Abu al-Khasib, das keine Ölfelder hat, dafür ein Vermögen an Dattelpalmen, wurde wegen der Nähe zur iranischen Grenze zum Kriegsopfer. Wer den Ort heute besucht, findet keine Palmenhaine mehr, die jahrhundertelang dort gediehen sind. Keine Bäche, keine Dämme. Alles trocken. Alle Dattelpalmen, die den Aufmarsch der irakischen Panzer im Krieg gegen Iran (1980–1988) behinderten, wurden auf Befehl von Saddam Hussain geköpft. Die Überlebenden gingen durch Angriffe von Artillerie und Luftwaffe in Flammen auf. Acht Millionen Palmen wurden Opfer dieses absurden Krieges. Was Abu al-Khasib betrifft, so ist es heute ein ödes Land. Keine Hilawi Sayyir. Keine Berhi. Keine andere der über 600 Dattelsorten. Nichts vom alten idyllischen Wohlstand.

Ich besuche meinen Freund, Talib Abdulaziz, den ich für einen Nachfolger unserer drei großen Dichter halte, in Abu al-Khasib, wo er ein Stück Land hat, und sehe mich um. Überall kopflose Dattelpalmen, vertrocknete oder verbrannte Stämme strecken sich gen Himmel. Ausgetrocknete Bäche. Keine Palmen. Das Wasser in Basra ist untrinkbar. Genauso das Wasser in Abu al-Khasib. Das Einzige, das es gibt, kommt aus dem Schatt al-Arab. Es ist salzig, nicht einmal zum Baden ist es gut! „Wie kann man es dann zur Bewässerung oder zum Trinken verwenden?“, fragt mein Freund traurig.

Auch das nationale Getränk, der Arak, den die Iraker aus Datteln produzieren und den wir gern als Wasserersatz trinken oder als Trost, um den Kummer einer Nacht zu vergessen, ist kaum mehr zu finden. Und das nicht etwa, weil die regierenden islamistischen Parteien Alkohol – insbesondere in Basra – verboten haben. Sondern weil es schwer geworden ist, echten, unverfälschten Arak zu finden, genauso wie eine fruchtbare Dattelpalme oder einen Dichter, der aus Basra kommt und dessen Poesie an die großen irakischen Dichter erinnert!

■ Eindrücke des in Berlin lebenden irakischen Schriftstellers Najem Wali von seiner Irakreise im Frühjahr dieses Jahres