„Widerstand ist nicht zu erwarten“

ZEITGESCHICHTE Anpasslerisch bis zur Selbstaufgabe – vor achtzig Jahren zerschlugen SA und SS die deutschen Gewerkschaften. Ihre Staats- und Autoritätsgläubigkeit hatten die Arbeiterorganisationen blind gemacht für die Gefahren, die von den Nazis drohten

Warum konnte sich Joseph Goebbels so sicher sein, dass sich die Gewerkschaften gegen ihre Zerschlagung nicht wehren würden?

VON RUDOLF WALTHER

Heute vor 80 Jahren, am 2. Mai 1933, besetzten faschistische SS- und SA-Trupps Häuser und Büros der Gewerkschaften, die im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) zusammengeschlossen waren. Viele Funktionäre von Einzelgewerkschaften wurden misshandelt, gefoltert und kamen in „Schutzhaft“.

Die SA ermordete vier Duisburger Gewerkschaftsangestellte und vergrub die Leichen im Wald. Die landesweite Hausbesetzung erfolgte nicht spontan. Der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels notierte bereits am 18. April in seinem Tagebuch: „Am 2. Mai werden dann die Gewerkschaftshäuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Gebiet.“ Und am 1. Mai hielt er fest: „Morgen werden wir die Gewerkschaftshäuser besetzen. Widerstand ist nirgends zu erwarten.“

Warum konnte sich Goebbels so sicher sein, dass sich die Gewerkschaften gegen ihre Zerschlagung nicht wehren würden? Der ADGB hatte zwar in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 zahlreiche Mitglieder verloren, aber er hatte immer noch rund vier Millionen Menschen organisiert. Seit 1924 bestand das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, eine von der SPD und den Gewerkschaften gegründete republikanische Selbstschutzorganisation, die sich als Kampfverband verstand und über 400.000 erprobte Kämpfer verfügte.

Mit maßgeblicher Hilfe der Gewerkschaften wurde im Dezember 1931 die Eiserne Front zur Verteidigung der Republik gegen den Terror von rechts gegründet. Dabei erklärte der Reichsbanner-Vorsitzende Karl Höltermann: „Das Jahr 1932 wird unser Jahr sein, das Jahr des endlichen Sieges der Republik über ihre Gegner. Nicht einen Tag, nicht eine Stunde mehr wollen wir in der Defensive bleiben – wir greifen an!“

Das erwies sich freilich als hohles Versprechen, denn als die Regierung der „nationalen Konzentration“ unter Franz von Papen am 20. Juli 1932 die preußische Koalitionsregierung aus SPD, Zentrumspartei und Deutscher Demokratischer Partei per Notverordnung absetzte, den militärischen Ausnahmezustand erklärte und rund 100 hohe Beamten entließ, regte sich keinerlei sozialdemokratisch-republikanischer Widerstand.

Nachdem ein Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen diesen Verfassungsbruch vor dem Reichsgericht gescheitert war, gab sich der Parteivorstand der SPD geschlagen: „Der Kampf um die Wiederherstellung geordneter Rechtszustände ist zunächst mit aller Kraft als Wahlkampf zu führen.“

Ähnlich zahm reagierten die Gewerkschaften: „Die entscheidende Antwort wird das deutsche Volk am 31. Juli geben.“ An diesem Tag des Jahres 1932 fanden die Reichstagswahlen statt. Die NSDAP gewann dabei 230 Mandate mit 37,8 Prozent der Stimmen und wurde stärkste Partei.

SPD und ADGB zeigten sich in dieser historischen Stunde als „anpasslerisch bis zur Selbstaufgabe“ – so der Historiker Manfred Scharrer. Die Führungen beider Organisationen vertrauten auf Disziplin, Ordnung und Gehorsam und waren einer Staats- und Autoritätsgläubigkeit verpflichtet, die sie blind machte für die politischen Gefahren, die von rechts drohten. Sucht man nach Gründen für die kampflose Kapitulation der Arbeiterbewegung 1932/33, so liegen diese auf vier Ebenen.

Erstens befanden sich die linken Organisationen in einer objektiv schwierigen Lage. Die Wirtschaftskrise und die damit verbundene Arbeitslosigkeit schwächten die Organisationen und entlegitimierten sie angesichts des forcierten Sozialabbaus der Regierungen Brüning und von Papen sowie der Lohnkürzungen durch viele Unternehmen.

Zweitens hatten es SPD und Gewerkschaften nicht nur mit den Nationalsozialisten zu tun, sondern auch mit einer bornierten stalinistischen KPD, die mit ihrer Kampagne gegen den „Sozialfaschismus“ die Sozialdemokratie und den ADGB zum „Hauptfeind“ stempelte und punktuell sogar mit den Nazis kooperierte.

Drittens huldigten insbesondere die Gewerkschaften mit ihrem Slogan „Nicht Demonstration, sondern Organisation“ – so der ADGB-Vorsitzende Theodor Leipart noch am 1. Mai 1933 – einem fundamentalistischen Legalismus, der Alternativen zur schleichenden Anpassung und Unterwerfung gar nicht aufkommen ließ. Das mutige Nein der SPD-Fraktion gegen das Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933 blieb eine Ausnahme.

Viertens wuchsen gegen Ende der Weimarer Republik durch die unerhört gewalttätige Politik der Nationalsozialisten Entmutigung und Demoralisierung der demokratisch-republikanischen Kräfte. Entgegen der Legende, wonach sich die Gewalt als Kern der nationalsozialistischen Politik erst mit Beginn des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion 1941 und am Anfang der Massendeportation von Juden 1942 gezeigt habe, war der Alltag unter dem Nationalsozialismus – der längst kein Alltag mehr war, sondern der Ausnahmezustand in Permanenz – bereits seit 1932/33 von Gewalt geprägt.

Tote gab es schon beim Streik der Berliner Verkehrsbetriebe im November 1932. Als kommissarischer preußischer Innenminister machte Hermann Göring die SA-Schlägertrupps zu Hilfspolizisten.

Nach dem Reichstagsbrand in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 wurden die Grundrechte suspendiert und Kommunisten und Sozialdemokraten von marodierenden SS- und SA-Trupps gnadenlos gejagt und in „Privatgefängnisse“ gesteckt.

■ Wanderausstellung: „Zerschlagung der Mitbestimmung 1933“, Hans-Böckler-Stiftung, Berlin (bis 17. Mai). Katalog im Netz: www.boeckler.de