Vergiss die Biotonne!

GARTEN Terra Preta – der Stoff, den jeder herstellen und so ein kleines bisschen die Welt retten kann

Terra Preta, die schwarze Revolution aus dem Regenwald. Buchtitel und Untertitel sind nicht selbsterklärend. Wer es nicht eh schon weiß, dem verrät der Verlag auf dem Cover erst im Kleingedruckten, dass es ums Gärtnern geht: „Mit Klimagärtnern die Welt retten und gesunde Lebensmittel produzieren“. Hingegen werden Ute Scheub, Haiko Pieplow und Hans-Peter Schmidt schnell konkret und erläutern anschaulich, was schwimmende Gärten in Mexiko, Weinstöcke im Schweizer Wallis, der Österreichische Klimaschutzpreis 2012, der Initiator der gentechnikkritischen Organisation Zivilcourage, riesige Radieschen im Berliner Botanischen Garten, die Little-Donkey-Farm in Peking miteinander zu tun haben: Sie alle verbindet das Autorentrio zu Geschichten des Gelingens über Menschen, die (Mikro-)Organismen unterstützen bei der Bildung von fruchtbaren Böden.

Statt energieaufwendiger und mit hohen Risiken verbundener Hightech-Ansätze ist die Kunst, Terra Preta, fruchtbare Schwarzerde, selbst herzustellen, eine uralte Kulturtechnik. Sind Sie schon Nebenbeigärtnerin, Balkon- oder Profigärtner? Ob oder auch nicht, Sie alle gehören auch dann zur Zielgruppe des Buches, wenn Sie erst mal nur jemanden kennen, der einen Garten hat. Denn letztlich geht es um fruchtbaren Boden für alle – und dafür liefern die Autoren das Rezept: Man/frau bringe Geduld mit und nehme: Pflanzenkohlepulver, organische Abfälle, Mikroorganismen und Bodentiere. Und: „Bestellen Sie Ihre Bio-Tonne ab!“ Das klingt wie Ökofrevel, aber das Buch birgt Handreichungen zur Ökorevolution für jede und jeden von uns. So ist die Zutatenliste variabel: Küchenreste mit Bananenschalen und Fischgräten, mit Miniermotten befallenes Laub aus dem Garten, Fingernägel und – so werden wir Leser schonend aufgeklärt – wenn gewünscht auch unsere inneren Werte, die eigenen Ausscheidungen, frei nach dem Motto: „Verwenden Sie alle Biomasse, derer Sie habhaft werden können!“

Im Allgemeinen wie im Konkreten wird durch griffige Formulierungen und zahlreiche Fotos das Leben erhaltende Grundprinzip immer wahrnehmbar: Statt industrialisierter Intensivlandwirtschaft, die lebensnotwendige Ressourcen vergeudet, verschmutzt und zerstört, geht es darum, Stoffkreisläufe zu schließen. Dadurch wird nachhaltige Landnutzung in neuen Dimensionen möglich. Kurz: „Die Natur kennt keinen Abfall“, so auch der Titel einer Wanderausstellung, die 2012 im Berliner Botanischen Garten war.

Reifungsprozesse

Ob in der Küche, in der Toilette oder im Garten – hilfreiche Querverweise im Text erleichtern den Erkenntnisgewinn und den individuellen Zugang für eine praktische Umsetzung. Letztlich benötigt der Boden bzw. seine Lebewesen eine genauso gesunde und vielfältige Kost wie auch die darauf lebenden. Wobei die Rezepte auch deshalb so praktikabel sind, weil alle anderen Zutaten – auch einzeln – über den Versandhandel bezogen werden können. So bleibt jedem nach Gusto zu entscheiden, ob und wann zum Beispiel mit der Eigenproduktion von Pflanzenkohle begonnen wird oder geeignete Mikroorganismen selbst vermehrt werden. Diese steuern durch ihre Ausscheidungen – vor allem Enzyme – die Prozesse, und unter ihnen sind immer nur wenige Arten, die die Prozessrichtung bestimmen und nach denen sich dann die Masse der – opportunistischen – anderen richten. Apropos Gusto: Wir dürfen uns auf unsere Nase verlassen, wenn es gilt, den säuerlichen Geruch nach Joghurt oder Sauerkraut von Fäulnis zu unterscheiden, denn das riechen auch die wenig Sensiblen unter uns. Aber – und das ist dem Autorentrio wichtig – alles individuell passend, je nach Lust, Erfahrung und Zeit, denn die eigenen Erkenntnisse müssen reifen wie fruchtbarer Boden und guter Wein. ANITA IDEL

■ Hans-Peter Schmidt, Haiko Pieplow, Ute Scheub: „Terra Preta. Die schwarze Revolution aus dem Regenwald“. Oekom Verlag, München 2013, 206 Seiten, 19,95 Euro