Nach dem goldenen Zeitalter

NEUBEWERTUNG Vulgäres Kommerzkino? Ach was! Eine überfällige Retrospektive im Wiener Filmmuseum rettet das US-amerikanische Kino der 80er Jahre vor allzu leichtfertigen, vorschnellen Richtersprüchen

Es fällt zum Beispiel auf, wie viele Filme aus der Dekade von Reagan, Yuppies und Koks sich offen mit Klassengegensätzen auseinandersetzen

VON SVEN VON REDEN

Der Ruf war schon ruiniert, als das Jahrzehnt noch jung war. „Die einzige bemerkenswerte Entwicklung in den achtziger Jahren ist, dass es keine Entwicklung gibt“, schreibt 1984 James Monaco in der zweiten Auflage seines Buchs „American Film Now“. „In den letzten 75 Jahren hat die Theorie des ‚Neuen‘ die Kunst regiert, und dabei schließe ich Film mit ein. Und diese Theorie ist so gut wie tot.“

Kulturpessimistische Abgesänge dieser Art hat es natürlich immer schon gegeben, bemerkenswert aber ist, wie unwidersprochen sie sich in Bezug auf das Kino der Achtziger gehalten haben. „Die achtziger Jahre waren eine fürchterliche Dekade für amerikanische Filme“, fasste vor Kurzem etwa noch Steven Soderbergh die gängige Ansicht zusammen. „Es war das Jahrzehnt, in dem die Aktiengesellschaften das Ruder übernommen haben.“

Kurz gefasst geht die Erzählung der Jahrzehnte so: In den späten sechziger Jahren eröffnete die Krise der amerikanischen Filmindustrie den jungen Wilden des New Hollywood die Möglichkeit, mit Formen und Inhalten zu experimentieren. Eine Blütezeit folgte, die mit der Erfindung des Blockbuster-Kinos Mitte der siebziger Jahre („Der weiße Hai“, „Star Wars“) langsam zum Ende kam, mit dem Ergebnis, dass sich in den achtziger Jahren endgültig ein vulgäres und eskapistisches Kommerzkino durchgesetzt hatte.

Wenn jetzt das Österreichische Filmmuseum mit der fast fünfzig Filme umfassenden Retrospektive „The Real Eighties“ gerade dem amerikanischen Mainstreamfilm der achtziger Jahre zu seiner Ehrenrettung verhelfen will, überrascht zunächst einmal, dass sich nicht schon früher jemand an einer Neubewertung versucht hat. Zumal die vom Kuratorenkollektiv „The Canine Condition“ zusammengestellte Schau gegen Ende eines schon seit über zehn Jahre andauernden Achtziger-Revivals kommt, das besonders in der Musik und Mode tiefe Spuren hinterlassen hat. Im Kino dagegen kann von solch einer Wiederentdeckung höchstens im Hinblick auf einige Remakes aus den letzten Jahren gesprochen werden („Robocop“, „Conan“, „Kampf der Titanen“) und vereinzelte Rückgriffe auf zeitgenössische Oberflächenreize – Neon, Pastell, Synthiemusik –, am auffälligsten in Nicolas Winding Refns „Drive“.

Die umfangreiche Schau in Wien gibt tatsächlich erstmals die Möglichkeit, im Kino zu einer Neubewertung der Dekade zu gelangen. Dabei zeigt sich die Zeit weit weniger homogen als angenommen. Hinter den alles überstrahlenden Blockbustern wie „Star Wars“, „Indiana Jones“, „Zurück in die Zukunft“ und ihren Fortsetzungen gab es ein populäres Kino, das gar nicht oder nur bedingt in das heutige Bild der Zeit passen will.

Es fällt zum Beispiel auf, wie viele Filme aus der Dekade von Reagan, Yuppies und Koks sich offen mit Klassengegensätzen auseinandersetzen – häufig in Gestalt von Liebesgeschichten, in dem eine Mittelklassefrau sich in einen Außenseiter aus der Arbeiterklasse verliebt. In „Some Kind of Wonderful“ (1987) etwa, einer Produktion des achtziger Teenfilm-Königs John Hughes, versucht ein Jugendlicher aus einfachen Verhältnissen, das Herz einer der Mädchen aus einer Popperclique zu erobern. In John Sayles’ „Baby It’s You“ (1983) verliebt sich ein junger Sinatra-besessener Italoamerikaner unsterblich in eine schauspielvernarrte Schülerin aus gutem Hause. Die amerikanische Arbeiterklasse ist in diesen Filmen noch nicht zum in den letzten Jahren im US-Film beliebten White Trash herabgesunken, sondern hat ihren eigenen Stolz und ihre eigene Kultur, auch wenn diese zunehmend unter Druck gerät.

Vorläufer des heutigen White Trash bevölkern dagegen Dennis Hoppers „Out of the Blue“ (1980). Der Mann, der mit dem Erfolg von „Easy Rider“ die Blütezeit des New Hollywood einleitete, spielt in seinem dritten Regiewerk einen charismatischen Säufer, der nach fünf Jahren aus dem Knast kommt und versucht, ein neues Leben mit seiner dysfunktionalen Familie aufzubauen – was spektakulär scheitert. Die leider völlig vergessene Linda Manz spielt seine Hippies hassende und Punk liebende Tochter Cebe beeindruckend intensiv.

Hoppers unglaublich desillusioniert-düsterer Film ist seine vielleicht beste Regiearbeit. Gedreht und produziert wurde er in Kanada, in Hollywood war er seit seinem Debakel „Last Movie“ (1971) und durch seine immer mehr außer Kontrolle geratenden Drogenexzesse Persona non grata. Erst 1988 konnte er wieder im Herzen der amerikanischen Filmindustrie drehen und schuf mit „Colors“ eines der besten Cop-Movies der Dekade, das zudem einen realitätsnahen Einblick in die noch junge HipHop-Szene von L. A. gibt.

Hopper ist ein Beispiel dafür, dass die Filmemacher der goldenen Zeiten des New Hollywood künstlerisch keineswegs abgedankt hatten – sie mussten sich aber mit kleinen Budgets bescheiden. Während Hopper weiterhin erstaunlich nah am Zeitgeist blieb, zog sich Francis Ford Coppola – passend zum damaligen Rockabilly-Revival – Anfang der achtziger Jahre in die Vergangenheit zurück. In „The Outsiders“ begab er sich in die Zeit der eigenen Jugend und reanimierte den „Halbstarken“-Film der fünfziger Jahre – mit klassenkämpferischen Untertönen.

Hopper, Coppola oder auch die ebenfalls in der Reihe vertretenen Martin Scorsese, Michael Cimino, Sidney Lumet sind längst in den Kanon der US-Filmgeschichte aufgenommen worden, ebenso wie einige Veteranen der Prä-New-Hollywood-Ära wie Sam Fuller und Robert Aldrich, die in den achtziger Jahren noch überraschend politisierte Filme drehten. Andere wie Michael Mann oder Walter Hill begannen in der Dekade ihre Karriere erst richtig. Filmemachern wie Jim McBride, James Foley oder James Bridges sind heute dagegen leider weitgehend vergessen. Besonders McBrides „Außer Atem“-Remake – damals natürlich als Sakrileg gegenüber Godard verteufelt – lohnt eine Wiederentdeckung.

Wenn es einen Grund gibt, nostalgisch auf die achtziger Jahre zurückzublicken – das ist so etwas wie die These von „The Real Eighties“ –, dann weil es die letzte Dekade war, in der das Kino noch eins war, noch nicht geteilt in Arthouse und Mainstream, in Kulturanspruch und Kommerzrealität. Erstaunlich breit waren etwa noch die Nischen für Genrefilme, die nicht hochgejazzt wurden zu Oscar-Abräumern – eine Taktik, auf die sich in den neunziger Jahren die Firma Miramax spezialisierte –, die aber den Kinozuschauer auch nicht für dumm verkauften oder lediglich auf die bestehende Fanbasis einer Buch-, Computerspiel-, Comicvorlage setzten. Was die Achtziger im Rückblick interessant macht – und dazu braucht es vielleicht den Abstand von einer Generation, das zu erkennen –, ist, wie überraschend deutlich hier zum einen noch die Ausläufer der späten sechziger Jahre zu spüren sind, wie aber zum anderen schon eine neue Kinorealität zu erkennen ist, die bis in die Gegenwart wirkt.

Das gilt nicht nur in filmhistorischer Hinsicht, sondern auch in technischer und ökonomischer: 1981 war das Jahr, in dem erstmals die Einnahmen Hollywoods aus Fernsehlizenzen höher waren als die an den Kinokassen. Zugleich stiegen durch die massenhafte Verbreitung von Videorekordern die Umsätze auf dem Heimkinomarkt rapide an. Doch trotz der neuen Vertriebsmöglichkeiten und Blockbuster wurden bereits in den frühen Jahren der Dekade mit Computerspielen wie „Space Invaders“ und „Pac Man“ weitaus mehr Umsatz gemacht als mit „Star Wars“ und Co. Die digitale Revolution war bereits in vollem Gange – die uns heute die Diskussion um das Ende des Kinos beschert. „Niemand weiß, wo in den neuen Medien nun die entscheidenden Gewinne verbucht werden. Und deshalb versucht jeder, sich nach allen Seiten offenzuhalten“, schreibt James Monaco in „American Film Now“. Ein Satz, der 1984 genauso aktuell war wie 2013.

■ „The Real Eighties. Amerikanisches Kino 1980–89“: Filmmuseum Wien, bis 23. Juni. Programm unter www.filmmuseum.at