Sie bleiben die Antworten bis heute schuldig

LINKE Wolfgang Kraushaar stellte am Dienstag in Berlin sein Buch über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus vor

Wenn man das Jüdische Museum in Berlin betritt, muss man eine Sicherheitsschleuse passieren. Dass dem so ist, hat mit einer Geschichte zu tun, die Wolfgang Kraushaar dort am Dienstagabend erzählte. „‚Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel‘? München 1970: Über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus“ heißt das viel diskutierte Buch des Politikwissenschaftlers. Dieter Kunzelmann hatte diesen programmatischen Satz 1969 aus einem Camp der Fatah in Jordanien an deutsche Genossen geschrieben.

Im Zentrum des Buches steht der Anschlag auf die Israelitische Kultusgemeinde in der Münchner Reichenbachstraße am 13. Februar 1970. Sieben Menschen kamen dabei ums Leben, zumeist Schoahüberlebende. Anders als das gescheiterte Attentat auf das Jüdische Gemeindehaus Berlin am 9. November 1969 von den Tupamaros Westberlin ist es nicht aufgeklärt. Kraushaar zieht eine Verbindung zwischen beiden.

Der Anschlag ist nur eine Episode einer Serie antisemitischer Aktionen, deren negativer Höhepunkt die Flugzeugentführung 1976 in Entebbe war. Kraushaar aber konzentriert sich auf München um 1970: der Anschlag auf die El-Al-Maschine auf dem Flughafen Riem, der Absturz des Swissair-Fliegers, die Geiselnahme der israelischen Ringermannschaft bei der Olympiade 1972. In München wurde zuerst gegen Neonazis, dann gegen „linke Anarchisten“ ermittelt. Schließlich gegen einen 18-jährigen Lehrling, angeblich Besitzer des Haupttatmittels, eines Benzinkanisters. Beweise gibt es nicht.

„Die Akten wurden geschlossen, der Fall blieb offen“, so Kraushaar. Interessant war, was er auf Publikumsfragen antwortete: der nach Peter Urbach etwa, dem Spitzel in der Kommune I, der die Berliner Bombe „aus dem Arsenal des Verfassungsschutzes“ besorgte. Die Beteiligung des Staates ist unklar, darum nennt Kraushaar Urbach die „Achillesferse“ des Falls.

Vieles spricht für Kraushaars These: die zeitliche Nähe der Anschläge, die Militanz der Tupamaros. Vor allem aber der radikale Antizionismus, den die deutsche Linke nach dem Sechstagekrieg pflegte. „Israel war ab 1967 nicht mehr das Land der Überlebenden, sondern der Brückenkopf des Imperialismus“, sagt Kraushaar. So wie die radikale Linke damals den Anschlagsopfern Solidarität verweigerte, bleibt sie heute die Aufarbeitung ihrer Rolle bei den Attentaten schuldig. Das ist der eigentliche Skandal hinter Kraushaars Recherche – ganz gleich, wer die Täter am Ende waren. SONJA VOGEL