Von herber Schönheit

PORTRÄT Jahrelang bewegte sich die mexikanische Fotografin Maya Goded im Schatten der Gesellschaft, lebte unter Prostituierten in Mexiko-Stadt und dokumentierte deren Leben

VON CORINNA KOCH

Es war die Angst um das junge Leben, das in ihr heranwuchs, die Maya Goded in Mexiko-Stadts Rotlichtviertel La Merced führte, um in der Gesellschaft der dort lebenden und arbeitenden Prostituierten eine herbe Geborgenheit zu finden. Ihre Kamera versteckte die werdende Mutter unter dem Mantel, als sie an dem Zuhälter vorbei die Treppen hochstieg und einer der Sexarbeiterinnen aufs Zimmer folgte.

Dort unterhielten sich die Frauen, tranken Mezcal, tanzten und lachten, bis der Moment kam, ein Foto zu schießen, wenn es die Situation ergab, oder es zu lassen, wenn dem nicht so war. Denn Maya Godod versteht ihre fotografische Arbeit, in deren Mittelpunkt seit nunmehr 20 Jahren die Prostitution in ihrem Heimatland Mexiko steht, mehr als eine Zusammenarbeit mit den Frauen, die sie fotografiert, und weniger als eine im Alleingang vollzogene Verbildlichung des eigenen Interesses.

Die Bereitwilligkeit, das eigene Leben mit dem der anderen zu verbinden, die Grenzen zwischen den eigenen Erfahrungen und denen der anderen zum Fließen zu bringen, ist eine Facette der mexikanischen Mentalität, die sich auch in den Arbeiten der Fotografen wiederfindet. So bringt das Land weiter Fotografen hervor, denen es gelingt, die Bilder des oft herben Alltags mit denen ihres eigenen Unterbewusstseins zu vermischen und eine surreal anmutende Ästhetik zu schaffen, die dem Betrachter keinen Aufschluss darüber gibt, ob das Bild einem Traum oder der Realität entsprang.

Es ist die Suche nach der eigenen Identität, die Mexikos Kunst- und Kulturschaffende seit der Gründung ihrer Republik umtreibt. So waren es die Muralisten, angeführt von Diego Rivera, die 1921 in ihren meist von dem jungen Staat in Auftrag gegebenen Tafelbildern versuchten, den Menschen die Erinnerung an ihre eigene, präkolumbische Kultur wiederzugeben. In Riveras Windschatten ritten neben seiner charismatischen Gattin Frida Kahlo auch Rufino Tamayo und María Izquierdo sowie Schriftsteller, Poeten und erste Fotografen. Eine davon war die schillernde Trotzkistin Tina Modotti, deren dokumentarische Fotografien aus Mexikos beinahe vergessenen Provinzen stark von der Bildsprache des sowjetischen Arbeiterkampfes geprägt sind.

Bild des Unterbewusstseins

Das Erbe Modottis, ihr von kubistischer Klarheit geprägter Bildduktus sowie die Langatmigkeit, mit der sie ihre Expeditionen in die entferntesten Gegenden Mexikos unternahm, trat Anfang der Siebziger die Fotografien Graciela Iturbide an. Iturbide versteht es, in ihren von einer herben Schönheit gezeichneten Bildern die Bildproduktionen ihres Unterbewusstseins mit dem, was sie in der äußeren Welt sieht, zu verknüpfen. Die intimen Einblicke, die sie in die im Matriarchat organisierte Gesellschaft der Zapoteken-Frauen von Juchitán gab, gehören zu ihren bedeutendsten Arbeiten und rückten Iturbide an die Spitze der lateinamerikanischen Fotografie.

Ein gemeinsamer Freund gab Maya Goded vor rund 20 Jahren die Telefonnummer von Graciela Iturbide, die bald darauf zu ihrer Mentorin wurde. Von ihr lernte Goded, ihren Projekten Zeit zu geben, sich nicht der Manie hinzugeben, so schnell wie möglich Resultate erzielen zu wollen, sondern sich auf einen Tanz mit der Ungewissheit einzulassen. Iturbides Lektion, nicht nach dem schnellen Ruhm zu trachten, sondern die Karriere bescheiden und leise zu verfolgen, fruchtete gut bei ihrer Schülerin. So schlug Maja Goded Anfang der nuller Jahre das Angebot aus, Mitglied der renommierten Fotoagentur Magnum zu werden, da ihr der prestigeträchtige Titel zu sehr widerstrebte.

Stattdessen reiste Goded in den folgenden Jahren allein an die nördlichen und südlichen Grenzen des Landes, wo die beginnenden Drogenkriege die immer gleichen Szenarien von Prostitution, Unterdrückung und Gewalt zeichneten. In dem Grenzstädtchen Reynosa Tamaulipas, das seine Besucher mit der in Neon geschriebenen Botschaft „Welcome to Lipstick“ begrüßt, stieß Goded auf Frauen in Baracken, die teilweise dorthin verschleppt worden, teilweise aus freien Stücken dort gelandet waren, um sich weitab von Gut und Böse zu prostituieren.

Goded war den in Tamaulipas herrschenden Männern kein gern gesehener Gast, die Einschüchterungen gipfelten in dem nächtlichen Einbruchsversuch in ihr Hotelzimmer. Dennoch reiste die Fotografin nicht ab, sie dokumentierte in harten und zugleich ungemein liebevollen Bildern das Leben der meist jungen Prostituierten, ihre Drogensucht, die Spuren der Schläge, die sie erfuhren, die Freundschaft zwischen ihnen. „Das ist nun drei Jahre her, und es fiel mir schwer, diese Frauen wieder zu verlassen, denn ich wusste, dass die meisten von ihnen nicht mehr leben würden, sollte ich noch einmal zurückkehren“, sagt Maya Goded.

Doch an eine Rückkehr ist in der heutigen Situation nicht mehr zu denken, zu gefährlich wäre allein die Reise dorthin. Stattdessen arbeitet Goded an einem Dokumentarfilm über und für die Prostituierten von La Merced, die sie seit ihrer ersten Begegnung nicht aufgehört hat zu besuchen und deren Leben Teil des ihrigen geworden ist und umgekehrt. Eine bereits abgedrehte Szene dieses Filmes entsprang dem Wunschbild von Rocío P. (Name geändert), einem ehemaligen Freier Rosa M.s (Name geändert), den Goded zu Beginn der Liebesbeziehung gemeinsam mit der Prostituierten porträtierte, was sie wiederum zur Patin ihrer Eheschließung machte. Heute trennt sich das Paar, und Rocíos Wunsch war es, der Beziehung in einer Filmsequenz ein Denkmal zu setzten.

Goded erzählt: „Rocío spielt in dieser Szene die Rolle eines ‚Pumas‘, eines Typus von Sängern, die hier in Mexiko zu den männlichen Sexsymbolen gehören, die einfühlsam, charismatisch und attraktiv sind und denen die Frauen zu Füßen liegen. Sein Traum war es, einmal solch einen ‚Puma‘ zu verkörpern, und er übte zwei Wochen lang an seinem Auftritt, ehe er so weit war. Wir mieteten einen Ballsaal, wo Rocío für Rosa, die als einzige im Zuschauerraum saß, das Lied ‚Voy a perderla cabeza por tu Amor‘ sang.“

Film der Prostituierten

Der Wunsch, die Fotografie in ein bewegtes Bild zu überführen, entstand aus den vielen denkwürdigen Szenen, die Goded mit den Frauen von La Merced erlebte. „Viele der Frauen entwickelten im Laufe unserer Zusammenarbeit eigene Ideen für Bilder. So saß ich einmal zusammen mit der über sechzigjährigen Doña China, die aus der Costa Chica, der Küstenregion des Staates Guerrero, stammt, deren Bewohner berühmt sind für ihre Lebensfreude und ihren Tanz und ihre Körperlichkeit. Doña China und ich hatten damals ein paar Tage miteinander verbracht, und wir waren uns so nahe, dass sie mich für ein paar Nächte in ihrem Bett hat schlafen lassen. Ich fragte sie ‚was für ein Foto soll ich von dir machen, Doña China?‘ und sie antwortete, dass sie bis zum Nachmittag darüber nachdenken werde. Als ich dann später wieder zu ihr ging, waren all ihre Kinder, Enkel und Nichten im Zimmer. Sie legte eine Cumbia-Platte auf, rhythmische und von einem urigen Humor geprägte lateinamerikanische Volksmusik, und begann im Kreise ihrer Lieben zu tanzen, die begeistert klatschten. Denn Doña China trug einen Bottich Wasser auf dem Kopf, und je heftiger sie mit den Hüften zu kreisen begann, desto mehr Wasser schwappte über den Rand des Gefäßes und durchnässte die Kleider, die sie über ihrem fülligen Körper trug. Ich fotografierte sie dabei bereitwillig und machte die Bilder, die Doña China in ihrem eigene Kopf ersonnen hatte.“

Es sind abermals die inneren Bilder, die Goded von den ihr heute in Freundschaft verbundenen Frauen hat, die sich vor das äußere Bild der Frauen schieben und die Goded manchmal vergessen lassen, dass die verlebten Gesichter der Frauen, ihre alternden, oft unschön in billige Dessous gezwängten Körper auf Außenstehende eine ganz andere Wirkung haben. Es war also ein Selbstversuch, als Goded zuletzt bei der Vernissage ihrer „Plaza de la Soledad“-Ausstellung im Städtischen Kunstmuseum „Bellas Artes“ sowohl Mexikos Feministinnen und Intellektuelle als auch die Protagonistinnen ihrer Bilder, deren Partner und Geliebte sowie die Familien der Freunde ihrer Kinder einlud.

Die Prostituierten waren erstaunt darüber, wie süß und lieblich Goded sie dargestellt hatte, Feministinnen mokierten sich darüber, dass Godeds Bilder der Respekt vor den Frauen und ihrem Elend fehle, während die Familie eines Freundes ihres Sohnes die Ausstellung verließ, da sie meinte, man könne Kinder nicht derartigen Bildern aussetzen. Am Ende ist es Godeds ureigene Sicht auf die Dinge, die sie sich zugesteht und die die Bildsprache dieser außergewöhnlichen Fotografin ausmacht.