Überbordende Erzähllust

STORIES Die unterhaltsamen Liebesgeschichten von Rajesh Parameswaran sind nun auch hierzulande erschienen

Jede der neun Geschichten entblößt einen bedenkenswerten Kern, auch wenn der oftmals vom Fruchtfleisch der Erzähllaune bedeckt ist

Manchmal fragt man sich schon, wo all die indischstämmigen Erzähler herkommen, die zuverlässig in den Vorschauen der Verlage auftauchen. Der in Texas aufgewachsene und mittlerweile in New York lebende Rajesh Parameswaran sorgt schon seit einigen Jahren mit skurrilen Geschichten, die den Perspektivwechsel wagen, für Aufsehen. Jetzt ist eine Auswahl seiner zum Teil preisgekrönten Liebesgeschichten auch auf Deutsch erschienen.

Und gleich mit der ersten verblüfft er seine Leser, indem er aus der Perspektive eines aus dem Zoo entwischenden Tigers schreibt. Dieser Tiger vergeht vor Liebe zu seinem Pfleger Kitch, um nicht zu sagen: Er hat ihn zum Fressen gern. Dabei entwirft der Autor ein hollywoodtaugliches Katastrophenszenario, um zu beweisen, dass Tiere eben auch Menschen sind.

Schon in dieser Geschichte stellt Parameswaran seine schier überbordende Erzähllust unter Beweis. Noch in zwei weiteren Geschichten des Bandes überlässt er Tieren das Sagen, seien es Elefanten oder Insekten, die ihr Leben leben wie alle anderen auch.

Diese Tiergeschichten schärfen die Aufmerksamkeit, indem sie Blicke von der anderen Seite gewähren. Zudem sind sie ein Spaß am Spiel und zeugen auch von der erzählerischen Chuzpe des Autors, der in seinem Buch mit den vielfältigen Formen des Erzählens spielt.

Eine der Geschichten reizt das Fußnotenschreiben derart aus, dass man vor lauter Anmerkungen keinen Text mehr sieht, eine andere weist einen radebrechenden Erzähler auf, was Stefanie Jacobs in tadellos gebrochenes Deutsch übersetzt.

Diese Spielereien sind alle schon da gewesen, doch man wird das Gefühl nicht los, dass dieser Autor unter enormem Originalitätsdruck leidet, der bei ihm ohne Frage manch hübsche Folge zutage fördert.

Parameswaran spielt mit den Textsorten, Genres und Erzählhaltungen. In einer der gelungensten Geschichten „Die wundersame Karriere des Dr. Raju Gopalarajan“ dürfen wir einem indischen Hochstapler auf die blutigen Finger schauen. Der plötzlich arbeitslos gewordene Inder Gopi versucht sein unfassbares Glück als autodidaktisch schnell ausgebildeter Arzt und scheitert schmerzlich.

Kräftig und klar schreibt Parameswaran über diesen indischen Einwanderer mit dem großen Glückshunger. Dabei beweist er in all seinen Geschichten ein großes Herz für die abgründigen Verlierer dieser Welt und die Art, wie sie die Wirklichkeit hingebungsvoll verkennen, ganz egal ob es sich dabei um Inder auf dem Weg in eine amerikanische Zukunft oder Elefanten auf dem Weg in die rosige Freiheit dreht.

Die Geschichten schillern grell und glatt und weisen dabei eine Geschmeidigkeit im Ton auf, die ihren Unterhaltungswert erhöht und einen zu der Einschätzung verleitet, hier erzähle einer nur um des Erzählens willen. Denn die Art, wie Parameswaran uns seine kunstfertigen Geschichten präsentiert, hat durchaus etwas prahlerisch Selbstbewusstes, die Arroganz des Gutgemachten.

Die tiefere Bedeutung der Texte ergibt sich aber aus den unter ihrer bunten Oberfläche pulsierenden Themen, wie etwa der Assimilation an fremde Welten: Da schieben vegetarisch lebende Brahmanen zu Thanksgiving Truthähne in die Öfen der Vereinigten Staaten, und bengalische Tiger verharren ohne jeglichen tropischen Luftzug hinter ihren Gitterstäben. Jede der neun Geschichten entblößt einen bedenkenswerten Kern, auch wenn der oftmals vom Fruchtfleisch der Erzähllaune bedeckt ist. Die Bandbreite seiner erzählerischen Ausdrucksmöglichkeiten bleibt dabei jederzeit bemerkenswert.

Das Buch erinnert dabei an Sed-Karten, mit denen sich Fotomodelle einer Agentur andienen und auf denen sie mal auf Mädchen, mal auf Grande Dame machen, mal halbnackt, mal hochgeschlossen zu sehen sind. Parameswarans literarische Sed-Karte präsentiert ihn als unbändigen Erzähler, der das Spiel liebt und seine Leser gern herausfordert, indem er ihnen vormacht, was sie so noch nicht oder zumindest noch nicht oft gelesen haben. SHIRIN SOJITRAWALLA

Rajesh Parameswaran: „Ich bin Henker“. Liebesgeschichten. Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 285 Seiten, 18,99 Euro