In der Kommerzfalle

VEREINNAHMUNG Weil die Kunstvereine immer weniger Subventionen bekommen, sind sie auf die Hilfe von Galerien angewiesen. Von dieser Verquickung mit dem Kommerz distanziert sich der Hamburger Noch-Kunstvereins-Chef. Ändern kann er es aber nicht. Dabei ist er einmal mit revolutionären Ideen angetreten

Man gewänne jene Freiheit zurück, die Waldvogel bei früheren Kunstprojekten längst erreicht hatte: eine niemandem unterworfene, sich in den öffentlichen Raum hinein ausbreitende Kunst, die zugleich partizipativ wäre

VON HAJO SCHIFF
UND PETRA SCHELLEN

Hamburgs Kunstverein ist ein überraschendes Gebilde: Mal gibt es eine kleine Revolution von unten, weil der Vorstand aufgrund eines guerilla-artigen Masseneintritts in den Verein um ein Haar komplett ausgetauscht worden wäre. Dann wieder schreibt der Leiter plötzlich, er könne ab sofort keine Gehälter mehr zahlen und müsse daher dringend eine Auktion anberaumen. Monate danach wird ihm unter ungeklärten Umständen der Drei-Jahres-Vertrag nicht verlängert, obwohl das durchaus geplant war.

Die Rede ist vom Hamburger Noch-Kunstvereins-Chef Florian Waldvogel, der offensiver als alle seine Vorgänger die finanzielle Malaise des Kunstvereins öffentlich machte und damit den Finger in eine Wunde legt, die nicht nur hamburgisch ist. Denn die Frage, ob der Kunstverein als Institution ausgedient hat, stellt sich ganz grundsätzlich. Und das nicht etwa, weil sein Konzept – die Präsentation junger, nonkonformistischer, vielleicht gar politischer Kunst – ausgedient hätte. Sondern, weil man offenbar nicht mehr bereit ist, die Vereine so auszustatten, dass sie diese Aufgabe erfüllen können.

Hinzu kommt, dass etablierte Kunst teurer ist als jüngere. Das gilt nicht nur für den Ankauf, sondern auch für die Versicherungssummen für die Ausstellungen großer Häuser, die oft um die gleichen Künstlerinnen und Künstler buhlen wie die Kunstvereine.

In Hamburg wurde das in den 1980ern durch eine personelle Verquickung besonders auffällig, als Kunstvereins-Chef Uwe M. Schneede Kunsthallen-Leiter wurde. Sein Kunstvereins-Denken nahm er mit und gründete eine eigene Reihe junger Kunst-„Standpunkte“. Die hat der aktuelle Kunsthallen-Chef Hubertus Gassner zwar wieder abgeschafft und dem Kunstverein so einen Teil der Spielmasse zurückgegeben. Der Kunstverein darbt trotzdem. Denn zwar hat der phantasievolle Florian Waldvogel Hamburgs Mäzene im September 2011 durch eine Benefiz-Auktion gelockt und viel eingenommen. Aber das löst das Grundproblem des 1817 gegründeten Vereins nicht: die fehlenden finanziellen Kapazitäten für die elementarsten Aufgaben. 474.000 Euro bekommt Hamburgs Kunstverein pro Jahr von der Stadt. 289.202 Euro davon gehen aber als Miete gleich wieder weg, und zwar – hamburgspezifisch und besonders absurd – als Miete an die stadteigene Immobiliengesellschaft. Außerdem gehen Personalkosten ab. Mit dem, was bleibt, ist ein großstadtwürdiger Ausstellungsbetrieb nicht zu machen.

Sponsoren sind also gefragt – und die Hilfe von Galerien. Die gelten zwar nicht als Direkt-Sponsoren, aber letztlich sind sie es doch, wenn sie dem Kunstverein zum Beispiel beim Aufbau und der – vorteilhaften – Präsentation der Galerie-eigenen Künstler helfen. Das ist bei den aktuellen Kunstvereins-Ausstellungen des Performance-Künstlers John Bock und des politphilosophischen Zeichners Nader Ahriman so, und das war bei der vorangegangenen Norbert-Schwontkowski-Ausstellung so, wo Berliner Galerien mächtig mitgestalteten. Und natürlich werden sie für ihre Hilfe belohnt: Private Vorschauen, Danksagungen, Logos im Impressum zeigen, wem man die Pracht verdankt.

Eine so massive Einflussnahme kommerzieller Interessenvertreter unterminiert den Auftrag einer öffentlich geförderten Institution. Und auch wenn sich die Kunstvereins-Macher gegen den Vorwurf wehren, dass die Galerien auch inhaltlich Einfluss nähmen: Wo verläuft die Grenze?

Schwer zu sagen, findet auch Hamburgs Kunstvereins-Chef Florian Waldvogel, der nach nebulösen internen Querelen zum 31. Januar 2014 gehen muss. Deshalb hat er zumindest diskursiv die Notbremse gezogen: Sehr deutlich schreibt er im Katalog zur aktuellen Ausstellung, dass die Verquickung zwischen Kunstverein und Kommerz inzwischen leider normal sei.

Wenn das aber so ist und sich die Gesellschaft diese Form der Präsentation nicht mehr leisten will: Dann wäre es vielleicht gut, auf die radikale Idee Waldvogels zurückzukommen, mit der er sich vor knapp drei Jahren in Hamburg bewarb. Man solle die Räume kündigen und Kunst an verschiedenen Orten der Stadt zeigen, hatte er da vorgeschlagen. Damit sparte man einerseits jene 60 Prozent der Zuwendung, die derzeit als Miete gezahlt werden. Zweitens gewänne man jene Freiheit zurück, die Waldvogel bei früheren Kunstprojekten wie „Nizza Transfer“ 2004 in Frankfurt längst erreicht hatte: eine niemandem unterworfene, sich in den öffentlichen Raum hinein ausbreitende Kunst, die zugleich partizipativ wäre.

So löste man en passant auch noch ein frisches Postulat der Hamburger Politik an die Kunstinstitutionen. Denn dann hätte man Kunst und Kommerz wieder sauber getrennt und die Galerien dahin verwiesen, wohin sie gehören: in ihre eigenen Räume.