ZWISCHEN DEN RILLEN
: Warnung vor dem eigenwilligen Cello

Miles: „Faint Hearted“ (Modern Love/Kompakt)

Wenn der britische Produzent Miles Whittaker an seiner Musik arbeitet, wird er selbst zur Maschine. Dann überträgt er einen Teil seiner kreativen Gehirnhälfte an die Synthesizer und entlockt ihnen Klänge aus der Vergangenheit, um sie in der Gegenwart zu verankern. Zumindest wäre das ein Erklärungsansatz für die Entstehung seines eigenwilligen Soloalbums, in dem ein stetiger Spannungszustand zwischen maschineller Kälte und diffusen menschlichen Gefühlszuständen herrscht.

Miles, seit langem als MLZ oder als eine Hälfte des okkulten Duos Demdike Stare Produzent von avanciertem Dub-Techno mit Drone-Einschlag, entwirft seinen Sound ausschließlich mit analogen Geräten. Die daraus resultierende Musik klingt jedoch alles andere als nostalgisch – einer der vielen schönen Widersprüche von „Faint Hearted“.

Bereits der Auftakt gibt das Leitmotiv des Albums vor: musikalische Dekonstruktion. So klingt das von einem Breakbeat getragene „Lebensform“ wie das rhythmische Skelett eines Jungle-Tapes aus den frühen Neunzigern. Die auf dem Magnetband zurückgebliebenen Schmutzreste erzeugen dabei ein subtiles Grundrauschen, es haftet auch den anderen Tracks an. Spuren von Stilmerkmalen aus Drum ’n’ Bass, Techno und Ambient, Miles deutet sie stets nur an.

Dadurch sind die traditionellen Hierarchien der musikalischen Parameter ausgehebelt. Ob die harsche Techno-Bassdrum in „Status Narcissism“, der metallische Beat in „Sense Data“ oder das neoklassische Klavier in „Rejoice“, nichts klingt hier sauber oder perfekt. Stattdessen rauscht es an allen Ecken, kurz, bevor sich ein bekanntes Muster einstellt, löst es sich wieder in seine Einzelteile auf.

Als Plattensammler und DJ weiß Whittaker, dass ein gutes Set auch aus Brüchen besteht. Überhaupt sind die abrupten Wechsel zwischen Kontemplation und Disharmonie ein weiteres Grundprinzip des Albums. Etwa in „Archaic Hunter“, in dem ein Cellomotiv von Störgeräuschen unterbrochen wird, was die Hörer aus der Konzentration reißt.

Es ist vor allem die Lust an der klanglichen Irritation, die „Faint Hearted“ zu einem akustischen Erlebnis macht. Auch sonst ist das Album mit seinen Dissonanzen und entschleunigten Beats in mehrfacher Hinsicht eine akustische Reflexion unserer Gegenwart. Viele Details erschließen sich aufgrund ihrer extremen Verdichtung erst nach mehrmaligem Hören.

Das wirkt wie eine Aufforderung, sich dem Instantkonsum zu verweigern und Hören als zeitintensiven Prozess zu akzeptieren, der Körper und Geist als rezeptive Einheit gleichermaßen beansprucht. „Faint hearted“ heißt übrigens „zartbesaitet“, was zeigt, dass die Musik auch eine Herausforderung ist. Doch ein Sound, der zwischen Melancholie und Euphorie, zwischen meditativer Ruhe und schonungslosem Lärm hin und her pendelt, kann zeitgemäßer nicht sein.

PHILIPP RHENSIUS