DIE WELT WIRD SO SCHNELL NICHT UNTERGEHEN. WIRKLICH?
: Der Mensch als Lurch

Bridge & Tunnel

VON OPHELIA ABELER

Auf ihrer Website erklärt die Nasa in der Rubrik FAQ, warum die Welt 2012 nicht untergegangen ist und auch so schnell nicht untergehen wird. Besucht man die Triennale „A Different Kind of Order“ im International Center of Photography und die „Expo 1“ im MoMA PS1 in Queens, beschleicht einen aber das Gefühl, die Nasa könnte sich eventuell irren. Konfrontiert mit „Hopeless Lands“ (Liu Wei, PS1) oder „Drowning World“ (Gideon Mendel, ICP) möchte man es bald James E. Hansen gleichtun. Der langjährige Leiter der Nasa-Klimaforschung gab kürzlich seinen Posten auf, um auf Seiten der Umweltaktivisten zu kämpfen.

Die unglaublichsten Arrangements mit den wahnwitzigsten Zuständen sind da zu sehen, weil Menschen eben nicht anders können, als immer irgendwie weiterzumachen. In Liu Weis Video von 2008 beackern Arbeiter ein Feld, Gerätschaften und Bewegungsabläufe wirken altertümlich, aus der Zeit gefallen. Die Farbe des Bodens ist seltsam, es ist überhaupt kein Ackerland, es ist eine Müllhalde. Völlig verstaubte, graue Menschen wühlen darin. Sie suchen nach recycelbaren Plastikteilen. Die Arbeiter sind ehemalige Bauern, liest man dann, unter der Müllhalde befanden sich tatsächlich Felder, die mal weit außerhalb Pekings lagen und nun unter dem Müll der wachsenden Stadt begraben wurden.

In Gideon Mendels Porträtserie „Drowning World“ sind es die Fluten, in denen alles verschwindet, nicht nur Straßen und Häuser, sondern auch die Menschen, mal nur bis zum Knie, mal bis zum Hals. So stehen sie im Wasser und machen, was sie vorher auch gemacht haben: Hühnerspieße verkaufen, in die Kirche gehen, sogar: ihre überschwemmten Wohnungen mit dem darin herumschwappenden brackigen Wasser putzen. Ihr Gesichtsausdruck reicht dabei von wütend und verzweifelt bis hin zu vollkommen stoisch. Das Wasser fließt in den gezeigten Regionen oft über Monate lang nicht ab, der Mensch führt ein Lurchleben.

Aber immerhin, er lebt, anders als die Menschen auf den Fotos, die Thomas Hirschhorn im Netz gesammelt hat. Der Schweizer Künstler montierte sie zu einem Video mit dem bildlichen Titel „Touching Reality“. Es wird im ICP in einem Raum gezeigt, der mit der Warnung „graphic content“ versehen ist. Eine Frau, von der wir nur die Hand sehen, schaut sich auf dem iPad Bilder von Kriegsopfern an. Die Bilder vom Bostoner Anschlag sind, man mag es kaum aussprechen, ein Spaziergang dagegen. Grausamer entstellte Leichen kann es nicht geben. Mal hastet die Hand über die toten Körper, mal hält sie inne, vergrößert einen abgehackten Fuß, einen zerschmetterten Schädel, ein Gesicht, pausiert bei dem Leichnam eines Kindes, huscht weiter. Massengräber werden von dieser Hand groß gezoomt, plötzlich erkennt man die einzelnen Körper darin. Bei aller Flüchtigkeit und Gleichgültigkeit der Berührung hat ihre vom Touchscreen verlangte Zartheit etwas Tröstliches. Es ist, als würde den Toten doch noch eine letzte Ehre zuteil, das fehlende Begräbnis gestisch nachgeholt wie in dem Gedicht von Gerald Stern, in dem es um ein überfahrenes Tier geht: „Zuck nicht, wenn du ein totes Tier auf der Straße liegen siehst; / Dir wird das Geheimnis des Lebens gezeigt./ Fahre langsam über das braune Fleisch; / du hilfst das Tier zu begraben.“

Die Mückenplage

Wenn man es geschafft hat, diese wenigen Minuten wirklich hinzuschauen, möchte man sich am liebsten den friedfertigen Aussteigern anschließen, die Lucas Foglia im Südosten der USA porträtiert hat. Gutgelaunte drahtige Selbstversorger, Jesusgestalten mit eigenen Webseiten, die im Fluss schwimmen, Homeschooling betreiben und süße Kinder mit tollen Namen wie Lunea oder Anakeesta haben.

Aber all diese Gedanken und Reflexe sind wahrscheinlich simple Anpassungsmanöver. Genau das, was man braucht, um in New York klarzukommen –weshalb diese beiden Ausstellungen wohl gerade hier stattfinden, während es teilweise regnet wie verrückt, man Gummistiefel bräuchte und Schutzlotion gegen die Heerscharen von Mücken, aber auch Sonnenmilch. In den vom Hurrikan „Sandy“ verwüsteten Rockaways, wo Volkswagen der „Expo 1“ seinen geodätischen „VW Dome 2“ hingestellt hat, in dem man über alles reden kann, brennt die Sonne erbarmungslos.

■ Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York