DVDESK
: Wasserstoffblond tanzen

„Gummo“, Regie: Harmony Korine, USA 1997. Bei Metropolitan Filmexport erschienen

Harmony Korine ist nicht brav. Er tut, was man nicht tut, er zeigt, was man nicht zeigt, und es scheint ihn wenig zu kümmern, was irgendwer sagt. Janet Maslin, die Kritikerin der New York Times, hat „Gummo“, sein Debüt, einst lauthals als prätentiös und zynisch und schlechtesten Film des Jahres beschimpft. Sie war nicht allein mit ihrer Verachtung, wenngleich Gus van Sant sagte, er wünschte, er könnte einen so großartigen Film auch einmal drehen. Und Werner Herzog erkannte einen Geistes- und Seelenverwandten, wurde Korines Freund und spielte im Nachfolgefilm „Julien Donkey-Boy“ und dann in „Mister Lonely“ noch einmal mit.

Harmony Korine ist ein amoralischer Regisseur. Er macht in „Gummo“ zwei Jungs zu Helden, die Katzen erschießen und sie auch ertränken und die die toten Katzen dann in Richtung Metzger verkaufen. Sex haben Tummler und Solly, so heißen die beiden, mit einer Frau mit Downsyndrom, die deren Mann zu Hause an Freier verkauft. Xenia in Ohio ist der Schauplatz des Films (den Ort gibt es, aber Harmony Korine hat komplett in seiner Heimatstadt Nashville gedreht). Ein Tornado hat das Städtchen vor einer Weile verwüstet. Was die Kamera antrifft, ist ein gottverlassener Pfuhl, den sozial sehr desorientierte Freaks und White-Trash-Monster bewohnen.

Harmony Korine aber enthält sich – wie stets – jeden Urteils. Er zeigt, ohne mit der Wimper zu zucken, deviantes Verhalten, deformierte Körper und derangierte Figuren, und er zeigt sie mit Gusto, aber er zeigt sie, als wären sie nicht deviant, nicht deformiert und nicht derangiert. Kein sentimentales Sozialdrama, nirgends. Keiner wird pädagogisch belehrt, keiner wird von oben herab denunziert. „Gummo“ hält seine Freaks nicht für erlösungsbedürftig, er käme auch nie auf die Idee, voller Scham oder Empörung oder Abscheu den Blick abzuwenden. Die Kamera hält voll drauf, sie bleibt aber auf Augenhöhe mit den Figuren. Dadurch bekommt der Vaudeville-Zirkus der Freaks und Abnormen seine Würde. Wer hier Hass oder Zynismus sieht, verwechselt die Haltung des Films mit dem eigenen Blick.

Harmony Korines Filme tun gerne dokumentarisch. Die Handkamera wackelt, viele Szenen wirken (und manche sind durchaus) improvisiert. Das meiste ist aber ausgedacht und geschrieben und immer wieder leicht surreal überhöht. Das Unwahrscheinliche ist, wie „Gummo“ seinem Szenario und den Figuren Komik abgewinnt und Poesie. Dabei lacht man nicht über die Figuren, und dabei ist die Poesie nicht verlogen. Das hat mit dem Erzählen in Non-Sequitur-Collagen zu tun. Szenen bleiben lang stehen, dann brechen sie ab. Der Tanz der wasserstoffblonden Schwestern auf ihren Betten. Sollys Spaghettimahlzeit in der Badewanne. Der Tap-Tanz seiner Messie-Mutter (Linda Manz) vor dem Spiegel im Keller. Armdrücken und Zertrümmerung eines Stuhls. Eine peinliche Szene, in der Harmony Korine selbst einen kleinwüchsigen Schwarzen vergeblich anmacht. Das bleibt so stehen.

Nichts wird erklärt. Nicht der quetschkommodenspielende Jüngling mit seinem rosa Kaninchenohrenkostüm. Nicht die geistig zurückgebliebene Frau, die über die Glatze ihrer Babypuppe streichelt. Nicht die in die Kamera gesprochene Kontaktanzeige der Albinofrau. Es ist, wie es ist, und oft ist es schön. Manchmal enden die Originaltöne und Worte, und Musik spielt aus dem Off, mal aggressiv, mal eher lyrisch. Roy Orbison singt „Crying“. „Jesus Loves Me“ von Scott Wesley Brown. Aber es läuft auch Fascho-Black-Metal von Burzum. Passt alles nicht zusammen? Das Erstaunliche ist: Tut es doch.

EKKEHARD KNÖRER