Streitgespräch über Musikmagazin Spex: „Am Ende war es ein Sudoku-Rätsel“

„Spex“-Herausgeberin Anne Waak und Markus Heidingsfelder, Autor in den 80ern, debattieren die Bedeutung von Pop und gelungenen Musikjournalismus.

Das Paradepferd des 82'er Pop: die britische Band Haircut 100. Bild: Archiv

taz: Frau Waak, Herr Heidingsfelder, wann ist Popjournalismus für Sie geglückt?

Anne Waak: Wenn ich beim Lesen lachen kann und hinterher schlauer bin. Das kann über die Beschreibung der Musik geschehen oder über ein benachbartes Phänomen. Ich brauche Ideen, Gedanken, die hängen bleiben.

Markus Heidingsfelder: Ich schätze die Texte von Clara Drechsler und Detlef Diederichsen, weil sie handwerklich sauber gearbeitet und „gut geschrieben“ sind. Und sie kommen ohne große Geste aus. Meine Lieblingslektüre im Buch ist aber das Roundtablegespräch zum Selbstmord von Kurt Cobain. Diedrich Diederichsens Diktum war ja, dass die existenzielle Wichtigkeit von Pop im Text spürbar sein muss, das ist da der Fall.

Waak: Ich finde das Beispiel gut, denn Cobains Tod ist den Autoren etwa Anlass, über die Arbeitsmarktreform der Clinton-Regierung nachzudenken.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Texte ausgewählt?

Waak: Wir machen Grundlagentexte wieder zugänglich, wir inkludieren, statt zu exkludieren. Ein Fokus liegt auf Sprache und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert hat. Am Ende war es ein Sudoku-Rätsel. Für jeden Text, der rausfällt, kommt einer rein.

Anne Waak

1982 in Dresden geboren, lebt heute als freie Autorin in Berlin. Gemeinsam mit den Schriftstellern Ingo Niermann und Joachim Bessing gründete sie Waahr.de, ein Onlinearchiv für literarischen Journalismus. Von 2010 bis 2011 arbeitete sie als Spex-Redakteurin.

Markus Heidingsfelder

geboren 1963, arbeitet als Medientheoretiker und Filmemacher in Berlin. 1993-1998 Leitung der Wortredaktion Viva TV, 2000-2005 Textchef und Producer für MTV. 2012 erschien „System Pop“ (Kadmos).

Gefällt Ihnen als Spex-Autor der frühen Jahre die Auswahl?

Heidingsfelder: Erst mal Gratulation, viele haben davon geträumt, so ein Buch zu machen. Dennoch, Inklusion gibt es nicht ohne Exklusion. Es sind Texte dabei, auf die die unterstellte sprachliche Qualität zutrifft. Wenn im Vorwort von einem „wilden Sprachbach“ die Rede ist, fehlt der mir oft. Lothar Gorris’ Text über Madonna etwa ist sprachlich konventionell und weit entfernt von Wildheit.

In der Spex war Platz für unbequeme Themen, es gab immer Fehlurteile. Warum bleibt dies ausgeklammert?

Waak: Die einfache Erklärung ist, dass wir uns dagegen entschieden haben.

So wirkt die Geschichte nachträglich bereinigt.

Waak: Der Madonna-Text von Lother Gorris ist fragwürdig. Wie er über ihr „kleines Speckbäuchlein“ schreibt, ist abstoßend. Auch das Gönnerhafte hat stattgefunden in der Spex. Ein anderes Beispiel wäre der für mich unlesbare Text von Rainald Goetz über Hanoi Rocks.

Heidingsfelder: Das Argument geht ungefähr so: Anfangs war die Spex subjektiv, später diskursiv. Ich würde aber gar nicht dazwischen unterscheiden, sondern zwei unterschiedliche Sprechweisen konstatieren.

Was ist an Spex links?

Heidingsfelder: Die Gründer Peter Bömmels, Gerald Hündgen und Winfried Rütten kamen aus der 68er-Bewegung. Hündgen etwa blieb bis zu seinem Tod Marxist. Aber Spex war zunächst kein dezidiert politisches Magazin. Für Hündgen steckte in einem Song wie „Love Comes in Spurts“ von Richard Hell Politik, auch wenn darin nicht von Klassenkampf die Rede ist. Die explizite Politisierung, die dann mit Diedrich Diederichsen Einzug hielt, kam erst 1985. Als er das Ruder übernahm, fand auch eine andere Sprache statt.

Waak: Bömmels hat kürzlich gesagt, es ging ihnen um die Abbildung der neuen Musikbewegungen: Postpunk und New Wave. Aber es ging auch um die Schaffung einer Gegenöffentlichkeit.

Frauen sind im Buch unterrepräsentiert.

Waak: Es sind elf Autorinnen mit 16 Texten. Ist das ein guter Schnitt? Natürlich nicht.

Heidingsfelder: Das ist ein Systemfehler des Popjournalismus.

Das Buch schließt mit Ihrem Interview mit Penny Martin, Chefredakteurin des Modemagazins The Gentlewoman. Was daran ist Pop?

Waak: Mode ist auch ein Satellit von Pop. Genau wie etwa Film.

82er Pop gilt als Nonplusultra, und seine Fürsprecher setzten sich damit in Opposition zu den 68ern, aber auch zu den nachfolgenden Generationen. Wo bleiben die Brüche?

Heidingsfelder: Eine grandiose Geschichte: Revoluzzer im Kaschmir-Pullover. Sie machte 1982 vor allem im Hinblick auf die Texproduktion Sinn: Subversiver Chartspop, das schrieb sich fast von selbst. Der Bruch kam viel später, nach der Wende, mit dem Text „The Kids are not alright“, den Diedrich Diederichsen nun unter keinen Umständen im Buch haben wollte. Eine Abrechnung mit den eigenen Idealen. Lustig finde ich, dass er sich nicht von den eigenen Vorstellungen verabschiedet, Pop sei subversiv, sondern von den Kids. Wenn man diesen Text weglässt, verabschiedet man sich in gewisser Weise auch von einem politischen Popkonzept.

Ist Spex heute noch ein linkes Projekt?

Waak: In den letzten Jahren wurden feministische, Gender- und Queerthemen wieder in den Blick genommen. Dann fällt mir das Gespräch von Jan Kedves und Max Dax mit dem „Shoah“-Regisseur Claude Lanzmann ein oder Tino Hanekamps Reihe über vergessene Dissidenten.

Popjournalismus ist bisweilen Personenkult: Autoren sind wichtiger als die Subjekte, über die sie schreiben.

Heidingsfelder: Nicht wichtiger als die Musiker, aber wichtig. In der Spex markierte man sich immer selbst mit in den Texten. Es ging darum, sich gerade nicht herauszuhalten um einer vermeintlichen Objektivität willen. Aber Sie, Frau Waak, haben schon versucht, mit dieser Textsammlung einen Kanon zu etablieren.

Waak: Das sehe ich anders. Es sind einige wichtige Texte. Und zum Personenkult: Ein Freund sagt, er möchte lieber Texte von Autoren abonnieren statt Zeitungen, weil er weiß, ein Jens Balzer schreibt toll und ist unbestechlich.

Jens Balzer hat Ihr Buch, in dem er mit einem Text vorkommt, für einen Radiosender rezensiert.

Waak: Das finde ich journalistisch fragwürdig.

Heidingsfelder: Die Geschichte der Spex muss erst noch erzählt werden. Etwas, das diesen Mythos dekonstruiert, steht vielleicht in einem anderen Buch.

***

Spex. Das Buch: Max Dax, Anne Waak (Hg.): „Spex. Das Buch. 33 1/3 Jahre Pop“. Metrolit Verlag, Berlin 2013, 464 Seiten, 28 Euro

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