Vintage-Comedy „Frances Ha“: Leben in der Schwebe

„Frances Ha“ ist ein Sonderfall: eine romantische Komödie ohne Mr Right - dafür im schwarzweißen Vintage-Look und mit einer wunderbaren Hauptdarstellerin.

Darfs ein bißchen Nouvelle Vague sein? Spaß-Kampf-Szene aus „Frances Ha“. Bild: ap

Mit 27 sterben Rockstars und gebären ostdeutsche Frauen ihr erstes Kind. Mit 27 begann F. Scott Fitzgerald den „Großen Gatsby“ und flog Juri Gagarin ins All. Mit 27 steht Frances ohne Job da, ohne Wohnung und ohne Freund.

Aber das beschäftigt sie eher am Rande. Viel schlimmer ist, dass ihre beste Freundin Sophie aus der gemeinsamen WG aus- und bei ihrem Freund einzieht. Vorbei ist die Zeit, in der man ständig zusammen abhängen, Witze reißen und lästern konnte. „Wir sind eine Person“, sagt Frances weiterhin jedem, der es hören will oder nicht, so als sei die Freundin die Liebe ihres Lebens. Aber Sophie hat einen neuen Lebensabschnitt begonnen und sie einfach zurückgelassen.

„Frances Ha“ spielt mit Motiven eines sehr alten und eines sehr jungen Komödiengenres – und unterwandert beide auf smarte Weise. Wie in den amerikanischen comedies of remarriage der dreißiger und vierziger Jahre – romantische Komödien, in denen ein Paar auseinandergeht, um am Ende wieder zusammenzufinden – kommt die Handlung durch eine Trennung ins Rollen und durch die bange Frage: Werden sie am Ende wieder vereint sein?

Waren diese Plots auch ein Versuch, die Selbstzensur der Filmstudios, die Beziehungen zwischen Nichtverheirateten auf der Leinwand strengen Limitierungen unterwarf, zu umgehen, interessieren sich Noah Baumbach („Greenberg“) und seine Mitautorin und Hauptdarstellerin Greta Gerwig provokanterweise ganz freiwillig nicht für die körperliche Seite von Beziehungen. „Wir sind wie ein altes lesbisches Paar, das keinen Sex mehr miteinander hat“, beschreibt Frances ihr Verhältnis zu Sophie.

Frau als Über-Ich zum regressiven männlichen Es

„Frances Ha“ ist eine romantische Komödie, in der die Suche nach Mr Right keine Rolle spielt, auch weil die jungen Menschen im New York der Gegenwart viel zu realistisch sind, um an mehr als Lebensabschnittspartnerschaften zu glauben. Ein utopisches Potential blitzt in der Tat nur in den Freundschaften von Frances auf und sicher nicht in der Beziehung zwischen Sophie und ihrem Freund und späteren Ehemann.

Die Krise zwischen den beiden besten Freundinnen ist ein Symptom von Frances’ quarter life crisis, der Unsicherheit eines Lebens in der Schwebe zwischen Beziehungen, zwischen Wohnungen, zwischen Studium und Arbeitsleben. Es ist offensichtlich: Dinge müssen sich ändern, doch Frances klammert sich an ihr altes Leben.

Von dieser Art von Reformstau handelt auch das beliebteste US-Komödiengenre der letzten Jahre: Die sogenannten man child movies, Filme über junge Männer, die nicht erwachsen werden wollen – oder das, was man bislang darunter verstand: Familie, Karriere und der Abschied von Kumpels, Kiffen und Computerspielen. Frauen sind in diesen Komödien gewöhnlich das Über-Ich zum regressiven männlichen Es: Kontrollinstanz, Erzieherinnen, Spaßverderberinnen. Frances ist eine der wenigen Frauenfiguren in einer US-Komödie der letzten Zeit, die diese Rollenaufteilung nicht mitmacht, die unverantwortlich sein darf, spielerisch, chaotisch – ohne dafür am Ende bestraft zu werden.

Nouvelle Vague lässt grüßen

Alt und Neu mischen sich auf überraschende Weise auch in Bezug auf das Verhältnis von Inhalt und Form. Ist Baumbachs sechster Langfilm auf der einen Seite ein durch und durch zeitgemäßes Porträt junger, westlicher, gut gebildeter Großstadtbewohner, knüpft er auf der anderen Seite filmisch direkt an die Nouvelle Vague der sechziger Jahre an. Anders formuliert: „Frances Ha“ wirkt bisweilen, als habe François Truffaut ein Kinoremake von Lena Dunhams vieldiskutierter HBO-Serie „Girls“ gedreht – ohne den Sex, aber mit viel Stil. Es überrascht nicht, dass Baumbach und Dunham befreundet sind („Girls“ war allerdings noch nicht angelaufen, als „Frances Ha“ gedreht wurde).

Der Sechziger-Jahre-Einfluss manifestiert sich am auffälligsten natürlich darin, dass „Frances Ha“ in Schwarzweiß gedreht wurde – und dass Baumbach ziemlich unverfroren Musik aus Filmen von Truffaut für den Soundtrack verwendet. Die opulenten Kompositionen etwa aus „Sie küssten und sie schlugen ihn“ (1959) und „Schießen Sie auf den Pianisten“ (1960) von Truffauts Lieblingskomponisten George Delerue wirken jedoch überraschend frisch, gerade dadurch, dass sie so unzeitgemäß sind. Sie lassen Frances kleine Geschichte größer und romantischer erscheinen, heben sie ins Überzeitliche. Ähnliches gilt für die Bilder von Kameramann Sam Levy – so hat man New York eigentlich nicht mehr seit Woody Allens „Manhattan“ gesehen.

Das gestrige Schwarzweiß und die gestrige Musik legen einen Vergleich mit Jan-Ole Gersters Überraschungserfolg „Oh Boy“ nahe: auch ein Großstadtfilm über eine Viertellebenskrise. Doch wo die altertümliche Jazzmusik im deutschen Film eher ironische Kontrapunkte setzt und das Schwarzweiß die tragische Seite dieser Tragikomödie noch einmal betont, ist es im amerikanischen Film genau umgekehrt: Alles strebt hier hin zu mehr Luftigkeit und weniger existenzialistischer Angst.

Der Vintage-Appeal von „Frances Ha“ passt bestens zur Retromania von Frances und ihren WG-Bewohner-Freunden, inklusive übergroßer Hornbrillen und Plattensammlung. Doch hinter diesen oberflächlichen Signifikanten verbirgt sich ebenso eine geradezu klassische Handwerklichkeit, die Baumbachs Film von vielen anderen US-amerikanischen Indieproduktionen unterscheidet. Das zeigt sich zum Beispiel an der perfekten Kontrolle des Erzählrhythmus: „Frances Ha“ beginnt ganz ähnlich wie Truffauts „Jules & Jim“ mit einer beschwingten Montagesequenz, die die enge Freundschaft der beiden Protagonistinnen etabliert, und mündet dann in einer langen Dialogsequenz, in der sich Frances von ihrem Freund trennt. Diesen Rhythmus zwischen schnell und langsam, leicht und schwer hält der Film bis zum Ende konsequent aufrecht.

Sorgfältige Verdichtung

Die Dialogszenen sind dabei von trügerischer Realitätsnähe: Auf der einen Seite wirken sie wie direkt aus dem Leben gegriffen, auf der anderen Seite weist natürlich keine Alltagsunterhaltung eine solch hohe Dichte an komischen one-linern, schlagfertigen Riposten und treffenden Alltagsbeobachtungen auf. Improvisiert wurde hier nichts, alles ist ein Ergebnis sorgfältiger Verdichtung der Ideen von Baumbach und Gerwig in der Drehbuchphase. Es verdankt sich allerdings allein Gerwigs Genie, dass sie es trotzdem schafft, jeden Satz so rüberzubringen, als habe er sich gerade erst in ihrem Hirn geformt.

Gerwig gilt schon seit ein paar Jahren als Königin des „Mumblecore“, des hipperen Teils der amerikanischen Independent-Szene, mit „Frances Ha“ stellt sie ihre beeindruckende Vielseitigkeit zur Schau. Genauso überzeugend wie in den Dialogen ist sie in Szenen, in denen es um physische Komik geht: Auch wenn „Frances Ha“ ein wortreicher Film ist, Gerwig bekommt genug Gelegenheit, mit dem ganzen Körper zu spielen: zu tanzen, zu kämpfen, zu laufen – und zu fallen.

Ihrem Einfluss kann man wohl auch verdanken, dass Baumbach seinen bis dato am wenigsten autobiografischen Film gedreht hat und – anders als bislang sein Freund Wes Anderson – seine Fixierung auf die Vergangenheit gelockert hat. Der Regisseur, Sohn eines Filmkritiker- und Autorenpaars, feiert im September seinen 44. Geburtstag, Gerwig wird am Sonntag 30 – die Vermutung liegt nahe, dass die Mischung aus Alt und Neu in „Frances Ha“ auch den Altersunterschied der beiden widerspiegelt. So harmonisch, wie beides hier ineinandergreift, lief offenbar auch die Arbeit am Drehbuch ab. Einem langen Porträt aus dem New Yorker über Baumbach konnte man kürzlich entnehmen, dass die beiden seit ihrer Zusammenarbeit an „Frances Ha“ ein Paar sind.

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