Rappen für die Zukunft des Barrio

PERU Radikal People ist die berühmteste HipHop-Crew in Lima. Sie kommen aus einem armen Viertel und verstehen sich als Botschafter. Mit ihrer Musik setzen sie ein Zeichen gegen Gewalt, die sie am eigenen Leib kennenlernten

„Wenn man die Welt verändern will, muss man bei den einfachen Leuten anfangen“

ABRAHAM MC

VON FREDERIK CASELITZ

Lima ist das brodelnde Zentrum von Peru. Über ein Drittel der Peruaner lebt in der Hauptstadt. Viele der mehr als 7,5 Millionen Einwohner verließen ihre Dörfer in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Doch Lima ist auch eine Stadt voller Verbrechen und Armut. Einige Stadtteile betritt man besser nicht mal am Tag, und nachts sollte man überall vorsichtig sein. Radikal People, die älteste HipHop-Crew Perus, hat den Ausstieg aus dem Kreislauf der Gewalt geschafft, doch das Barrio nie verlassen. Sie bleiben vor Ort und wollen die Gewalt mit ihrer Musik bekämpfen.

Ich treffe mich mit Radikal People in Callao, laut Statistik der peruanischen Polizei dem gefährlichsten Bezirk ganz Perus. 2010 registrierten die Behörden 10,4 Straftaten pro 1.000 Einwohner, darunter viele Morde. Allerdings findet das Interview in einer Shoppingmall statt, wo genug Securityleute sind, sodass mir Radikal People versichern, hier hätte ich auch als Ortsfremder nichts zu befürchten. Erst der fünfte Taxifahrer ist bereit, mich nach Callao zu fahren. Seine Kollegen behaupten, sie hätten dafür keine Lizenz. Nach Callao fährt niemand aus den besseren Vierteln von Lima.

Raper One und Abraham MC kommen mit etwas Verspätung an, sind jedoch gut gelaunt. Wir setzen uns in eine Starbucks-Filiale, ich bestelle einen Kaffee, damit wir bleiben können. Die beiden 33-jährigen Musiker trinken nichts. „Dieser Ort passt nicht so richtig zu uns“, schmunzelt Raper One. Für einen Peruaner ist er ungewöhnlich groß und zieht mit seinen Tattoos, den langen Dreadlocks und seinem vom Leben gezeichneten Gesicht die Blicke auf sich. Abraham MC ist in schluffigen HipHop-Klamotten und Baggy-Pants unterwegs, er würde auch als Student durchgehen. „Seit ich 13 bin, mache ich Musik“, erzählt Raper One.

Das war 1993. Peruanischen HipHop gab es damals noch nicht. Er bekam von seinen Brüdern und Cousins Musik aus den USA mitgebracht, auf Kassette überspielt. „Wir sind bis ans andere Ende der Stadt gefahren, um Tapes zu tauschen“, sagt Raper One und schmunzelt. Das EFX und Onyx waren Vorbilder für den Sound von Radikal People.

1999 gründeten Abraham MC und Raper One die Gruppe, die inklusive DJ und Musikern aus neun Mitgliedern besteht. „In erster Linie machen wir HipHop, aber wir mischen unseren Stil mit Reggae, Dancehall und Roots.“ Als ich frage, ob sie auch Reggaeton machen, fasst Abraham das als Beleidigung auf und erklärt mir, dass Reaggeaton, im Gegensatz zu Reggae, für ihn ausverkaufte Musik mit stumpfem Inhalt bedeutet.

Sie haben die gewalttätige Zeit in Peru als Kinder noch selbst erlebt. Die frühen Neunziger waren geprägt vom bewaffneten Konflikt zwischen der Guerilla Sendero Luminoso (Der Leuchtende Pfad) und der Armee. „Politisch gesehen hat sich seitdem nicht viel verändert, nur die Namen“, sagt Raper One. „Wir mischen uns nicht in die Politik ein“, ergänzt Abraham MC. Es sei ihm egal, wer gerade an der Macht ist. „Ich möchte mit Menschen in engem Kontakt sein, wenn es ein Programm gibt, das den armen Leuten hilft, dann mache ich mit. Ob dahinter nun Sozialismus oder Demokratie steckt, interessiert mich nicht, solange ich helfen kann. Wenn man die Welt verändern will, muss man bei den einfachen Leuten anfangen.“

Radikal People haben mittlerweile über zehn Länder in Lateinamerika bereist und wirkten dort bei Programmen gegen Gewalt mit. Sie waren aktiv für ein Ministerium in Bolivien, mit Unicef in Ecuador und auch für eine Jugendorganisation in Chile. Nur für Mexiko wurde ihnen das Visum verweigert, obwohl sie bereit gewesen wären, in der Drogenmetropole Ciudad Juárez aufzutreten.

Raper One sieht die gewalttätigen Texte als Spiegel der Probleme, die viele Jugendliche mit sich tragen. Als er mir erklärt, dass die Gewalt in den Texten oft nur der Ausdruck anderer Probleme sei, wird es laut vor dem Starbucks. Zwei Securitys streiten sich mit einem Mann und seiner Begleiterin. Vorsorglich unterbrechen wir das Interview. Der Mann schlägt einen der Sicherheitsleute ins Gesicht, während der andere Wächter aufgeregt in sein Funkgerät brüllt. Nachdem sich eine Menschentraube dazwischendrängt, geht der Angreifer einfach weiter. Die Securitys scheinen ihn nicht weiter zu verfolgen.

„Genau das meine ich“, sagt Raper One. Die beiden Musiker kennen den Kreislauf der Gewalt aus eigener Erfahrung. Mit Anfang 20 steckten sie selbst mittendrin. „Man könnte vielleicht sagen, dass wir ohne Musik wahrscheinlich im Gefängnis gelandet wären“, erklärt Raper One.

Abraham MC war schon als Kind mit familiärer Gewalt konfrontiert. „Mein Vater handelte sehr gewalttätig, sehr machistisch.“ Abraham wählte einen anderen Weg. „Mit 17 fragte ich mich, was ich von meinem Leben will. Ich wollte nicht so sein wie mein Alter.“

Spielsachen statt Drogen

Die Texte von Radikal People sind plakativ, „Basta de violencia“ („Stoppt die Gewalt“) heißt eine Single. Der düstere Sound klingt Gangsta-Rap zum Verwechseln ähnlich. Bis die tiefen Stimmen deklamieren: „Wir müssen unseren Kindern eine bessere Welt hinterlassen / Eine Welt voller Hoffnung / Stoppt die Gewalt!“

Ob es Probleme mit bewaffneten Banden gibt, möchte ich wissen. Denn sie sprechen Gangmitglieder direkt an und fordern sie auf, die Gang zu verlassen. „Nein“, antwortet Raper One, „unsere Botschaften werden respektiert, die Leute wissen genau: Wenn sie einmal im Gefängnis sitzen, gehören wir zu den wenigen, die sie dort besuchen. Oft fragen sie uns sogar um Rat.“

In einem Gefängnis lernten Radikal People auch den Anführer einer Gang aus den Barracones von Callao kennen, dem gefährlichsten Teil des Viertels. „Wir haben ihm klargemacht, dass wir einen Tag in der Woche einen Familientag in dem Viertel organisieren, und er hat es geschluckt. Die Bewohner haben Spielsachen auf die Straße gebracht und sind mit ihren Kindern spazieren gegangen, anstatt ihren Geschäften nachzugehen oder Drogen zu verticken.“

So wurde zumindest ein Tag lang in der Woche das Viertel befriedet. Ein einziges Mal in zehn Jahren bekamen Radikal People Probleme: Sie waren innerhalb einer Woche in zwei verfeindeten Gegenden aufgetreten, deren Bewohner in Bandenkriege verstrickt sind. Man hielt Radikal People zunächst für Spione der jeweils anderen Gang. „Ein Missverständnis, das ich schnell auflösen konnte“, so Raper One stolz. Das Ziel von Radikal People ist, die verfeindeten Gangs miteinander zu versöhnen.

Besonders beeindruckend für die beiden Musiker war ein Besuch im Gefängnis Meraldas in Ecuador. Dort sind Zellenblöcke nach Zugehörigkeit zu Drogenkartellen aufgeteilt: auf der einen Seite die Mitglieder des Sinaloa-Kartells, auf der anderen die von Medellín. „Bei unserem Konzert standen alle nebeneinander und haben zusammen gegroovt. Für einen Moment haben sie Zugehörigkeit, Waffen und Geschäfte vergessen.“

Abraham MC und Raper One sind inzwischen Vater von jeweils vier Kindern. Des Familienlebens wegen in eine bessere Gegend zu ziehen kommt für die beiden von Radikal People jedoch nicht infrage. Sie fühlen sich sicher. „Es gibt auch bei den Kriminellen einen Kodex. Sie wissen, wen sie zu respektieren haben“, erklärt Raper One. „Du wirst zum Beispiel nicht erleben, dass ein Pfarrer in den Vierteln Probleme bekommt. Das Einzige, was den Menschen bleibt, ist Gott. Wenn Menschen etwas für das Barrio oder für die Kinder des Barrio tun, werden sie beschützt. Wir haben einen vergleichbaren Status. Die Leute respektieren unsere Arbeit. Sie wissen, dass wir was für ihre Familien und ihre Kinder tun.“

Radikal People haben bis heute zwölf Alben veröffentlicht, aktuell „Concrete Jungle“ (Elijah Records)