In die Schweinefalle gelockt

VIDEOKUNST Der listige Künstler Louis Freiherr von Adelsheim verschmilzt sein badisches Heimatstädtchen in Kunst, Kitsch und Kritik

Es ist für jeden etwas dabei, und sei es ein Lichtlein, das er hinter einen Baum stellt und so ein blau-grünes Blattmosaik erschafft

Was für eine Sauerei. Dutzende, nein hunderte Schweine suchen nach Futter. Stöbern im Abfall einer Müllhalde, reißen Plastiktüten aus dem stinkenden Schutt, fressen den Abfall der Industriegesellschaft, die sie selbst wieder frisst. Ihr Grunzen wird nur vom scharfen Rauschen des Windes übertönt. Eine ausweglose Projektion einer Müllhalde im bolivianischen Hochland. Vielleicht die eindrucksvollste Arbeit bei der Licht- und Videoinstallation „Adelsheim leuchtet“ in dem gleichnamigen badischen Ort.

Fassungslos drängt sich die Traube von Menschen vor der Installation so eng wie die Sauen im Müll. Die Leute wissen nicht, was sie mehr ekeln soll: der überhebliche Impuls, wie unwürdig der Südamerikaner Schweine hält? Oder die Pein von schlechtem Gewissen, dass sie selber nicht sicher sein können, ob das Fleisch, das sie selber täglich verzehren, wirklich anders produziert wird? Wagen sich die Betrachter hineinzusehen in den verspiegelten Kubus, multipliziert sich das Bild endlos. Kein Entkommen aus der Schweinerei.

Der die Besucher in die Schweinefalle gelockt hat, ist der Hausherr. Louis Ferdinand von Adelsheim, Videokünstler und zugleich Eigentümer des Schlosses, um das sich der 5.000-Einwohner-Ort Adelsheim in Nordbaden schmiegt. Jedes Jahr lädt der Freiherr in seinen weitläufigen, illuminierten Schlossgarten. Und von Jahr zu Jahr kommen mehr Zuschauer. Und dabei wissen die Gäste der gigantischen Installation „Adelsheim leuchtet“, dass der Videokünstler, der der Baron ist, mit irritierenden Bildern und Aktionen soziale Abgründe zu illustrieren weiß.

An einer hohen Fassade locken die spektakulären Farben eines Tuschkastens. Aber das Farbenkarree wuselt und bewegt sich, und eh sich’s der entzückte Betrachter versieht, hat ihn Adelsheim in eine marokkanische Gerberei gelockt. Junge Männer tauchen darin wieder und wieder die Felle in die giftige Farbtunke, in der sie stehen und an der sie zugrunde gehen. Man möchte davonlaufen vor der morbiden Schönheit des Anblicks. Gerade weil einer der Färber immer wieder auf- und zurückblickt und die Schaulustigen zu fragen scheint: „Soso, guckt ihr mir beim Schuften und Sterben zu, ihr Reichen, ihr Privilegierten im Schloss!“

Eingebildete Intellektuelle

Ist das jetzt Kunst oder Kritik? Die Arbeiten Adelsheims enthalten sich einer Wertung. Sie evozieren, wie Bernhard Shaw es nannte, das „Schuldbewusstsein der Mittelschicht“, die ja nie weiß, ob sie regiert, reflektiert oder delektiert sein will. Jenes Klein- bis Großbürgertum ist es, das im Adelsheimer Schlossgarten zusammenströmt. Bürger, denen das Pläsier des Ortes und der Farben eigentlich genug ist – und die sich nicht auf den Farbenteppich trauen, den der Videokünstler auf einen Kiesweg projiziert. Es kommen eingebildete Intellektuelle, die auf Louis’ gesellschaftspolitische Provokationen scharf sind. Es erscheinen die Dörfler, die des Nachts durch den Garten schlendern wollen, der seit Jahrhunderten irgendwie auch der ihre ist. Und ein paar Gaffer sind wohl auch dabei, die einen Blick in die Privatgemächer des Schlosses zu erhaschen hoffen.

Es ist für jeden etwas dabei, und sei es ein Lichtlein, das er hinter einen Baum stellt und so ein blau-grünes Blattmosaik erschafft, an dem man sich gar nicht satt sehen kann. Ein paar Schritte weiter ein Triptychon. Es tauchen Kamele vor einer Silhouette von Wüstenbergen auf, Kakteengruppen in einer Salzwüste, bizarre Skulpturen vor rotem Sandstein. Das Ganze untermalt von sphärischen Klängen. Hundert Besucher genießen allein hier verträumt die Überblendungen faszinierender Landschaftsbilder.

Am stärksten wird die integrierende Gabe Adelsheims wieder spürbar werden, wenn an diesem Wochenende tausende Menschen zur Nacht der 10.000 Lichter kommen. Der Funke ist längst übergesprungen in den Ort, wo kein Schaufenster ohne neongelben- oder blauen Lichtschmuck mehr auskommt. Sogar die alte Kirche leuchtet mit. Das ist das eigentliche Kunstwerk: die soziale Skulptur, wenn das bornierte Kaff, das Adelsheim selbstverständlich ist, sich selbst erleuchtet, vom Kerzlein auf der Straße bis zur sorgsam in Szene gesetzten Hausfassade.

Und die Regierenden, sie können sich nie sicher sein, ob sich der fusionierte Bürgergeist urplötzlich in Protest verwandelt. Vor zwei Jahren pinselte Adelsheim auf die gehasste Bundesstraße durch den Ort lauter Zebrastreifen – und schon beteiligten sich die Dorfbewohner lustvoll am zivilen Ungehorsam des Straßenüberquerens und kreativen Entschleunigens. Am Samstag ließ Adelsheim für ein Kohlhaas’sches Stationentheater einen Wasserwerfer auffahren, Baujahr 1968. Keiner wusste, wen er damit beschießen wollte: die Behörden, den Bürgermeister oder gar seine Besucher? Der listige Louis aber nutzte das Gefährt – um den Pflasterweg vor dem Schloss sauber zu spritzen.

CHRISTIAN FÜLLER

■ „Adelsheim leuchtet“. Die Nacht der tausend Lichter. 16./17. August