DVDESK
: Johanna und der Mittlere Westen

„Die heilige Johanna“ (USA 1957, Regie: Otto Preminger)

Sebergs spektakulär gestartete Karriere ist ebenso spektakulär fast wieder vorbei

18.000 junge Frauen hatten sich beworben, als Otto Preminger 1957 eine Hauptdarstellerin für seinen Jeanne-d’Arc-Film suchte. Großer Werberummel und Klatschpresseaufmerksamkeit, die 19-jährige Jean Seberg aus dem Mittleren Westen, auf die die Wahl fällt, wird auf einen Schlag berühmt. Sie hat so gut wie keine Schauspielerfahrung und muss sich im Film nun neben Stars wie Richard Widmark, Anton Walbrook und John Gielgud bewähren. Für die Kritiker wird das ein Schlachtfest, der Film ist auch ein Kassendebakel, Sebergs spektakulär gestartete Karriere ist ebenso spektakulär fast schon wieder vorbei. „Sie haben mich zweimal auf dem Scheiterhaufen verbrannt“, hat sie später gesagt. „Einmal im Film, einmal danach.“

Es kam doch anders, in Paris wird Seberg zwei Jahre später im Erstling eines Unbekannten zur Ikone einer Generation. Sie hielt von Godard und „Außer Atem“ nicht sonderlich viel, blieb aber als Berühmtheit aus Iowa in Paris, es folgten Ehen mit wenig erfreulichen Männern, Alkohol, ein paar gute Filme, Depressionen und mit 40 der Selbstmord im Fond ihres Wagens.

Premingers Johanna ist ein Film aus dem Geist des Theaters. Er beruht auf einem Stück von George Bernard Shaw, das dieser bald nach der Heiligsprechung Jeanne d’Arcs im Jahr 1920 schrieb. Graham Greene verfasste das Drehbuch, das viele Dialoge aus der Vorlage übernimmt. Die Enttäuschung von Publikum und vor allem Kritik hängt zum Teil sicher damit zusammen, dass Preminger Shaw, dem Theater und vor allem dem Wort treu bleibt und zwei Dinge nicht tut, die andere der ziemlich vielen Jeanne-d’Arc-Filme tun. Carl Theodor Dreyer hat seine Darstellerin, den wenig kinobegeisterten Theaterstar Maria Falconetti, zur Legende gemacht, mit einem Stummfilm, der in erster Linie aus inbrünstigen Großaufnahmen besteht – Sergei Eisenstein meinte damals freilich: „Sehr interessant und schön – aber kein Film. Eher eine Reihe von wunderbaren Fotografien.“ Und Luc Besson, weder an Theologie noch an Filmkunst sonderlich interessiert, zog am anderen Ende des ästhetischen Spektrums mit Mila Jovovich und Sinn für Spektakel in die historisch verbürgten Schlachten, wofür ihn die Kritik dann aber auf dem Scheiterhaufen verbrannte.

Die Schlachten bleiben bei Preminger vollständig im Off. Fast alle Szenen spielen in umgrenzten Räumen, die die Kamera unaufdringlich als Schauplatz von Dialog und Interaktion inszeniert. Der Erzbischof schneidet die Büsche, König Charles VIII. springt als schelmischer Kindskopf daneben auf dem Boden durch Himmel und Hölle. Über den Status der Stimmen, denen Johanna gegen die Befehle der Kirche gehorcht, wird in Worten gerechtet. Jean Seberg spielt die Überzeugungstäterin vom Dorf dabei dringlich und schlicht, von Psychodrama oder Fanatismus kaum eine Spur.

Ganz zu sich kommt Shaw ohnehin erst im Epilog, den Greene und Preminger zur Flashbackrahmung umkonstruieren. Der greise König bekommt hier nachts Besuch von der toten Johanna und anderen Geistern. Ohne Bitterkeit, gar mit Witz, lassen sie die Geschehnisse Revue passieren. Fast ein Konversationsstück, das einem klar macht: Shaws Urbanität, Premingers amerikanisiertes k. u. k. Schlawinertum, Seberg und der Geist des Mittleren Westens – all das passt nicht so recht zu einem Stoff, in dem sich alles aufs Unpragmatischste um Spiritualität, Machtpolitik, fanatischen Glauben und Unbeugsamkeit dreht. Die Common-Sense-Verfilmung eines Common-Sense-Stücks um eine Common-Sense-Johanna: Das ist mindestens ein Missverständnis zu viel. EKKEHARD KNÖRER

■ Die DVD ist ab rund 17 Euro im Handel erhältlich