Kunstpädagogik in der Wohnküche

THEATER Zum Abschluss des Black-Lux-Festivals inszeniert das Ballhaus Naunynstraße in „Schwarz tragen“ eine WG als geschützten Raum für Dunkelhäutige. Das künstlerische Anliegen fällt dabei hinter das politische zurück

Vier Wochen, in denen Rassismus so oft thematisiert wurde, dass es penetrant wirkte

VON ASTRID KAMINSKI

Eine ganz normale WG in Kreuzberg, standardisiert, ohne persönliche Spuren. Eine offene Wohnküche mit angedeutetem Tresen, Tisch, zwei Bänke im schlichten Echtholzlook, im rechten Abseits eine L-Couch. Das war’s. Keine Einrichtung, die irgendetwas über die Bewohner verraten würde, auch das Puristische ist eher Aussageverweigerung als Stilhinweis.

Fast die gesamte Bühne im Ballhaus Naunynstraße wird großzügig von dieser Norm-WG-Andeutung eingenommen, nur eine sparsame Nasszelle steht als szenischer Antipode meist am linken Bühnenrand herum und wartet auf Einsatz. Aber nach der Einstimmungs-Freejazz-Hundewelpen-Sonate vom 45-Minuten-Duscher Eric (Ernest Allan Hausmann) passiert da nicht mehr viel. Einmal noch stellt sich, eher metaphorisch, die kantige Prinzipienreiterin Vicky (Sheri Hagen) in voller Kanzlei-Zweiteiler-Montur unter den leise tröpfelnden Duschregen. Ein weiteres Mal macht sich Joy (Thelma Buabeng) auf den Weg dorthin, allerdings nur, um ihren roten Bademantel mit weiß aufgesticktem Namen vorzuführen.

Und damit wäre die WG-Besetzung in der Premiere von „Schwarz tragen“ unter der Regie von Branwen Okpako fast komplett, außer Frank (Tyron Ricketts), der tot ist, und Cyrus (Thomas B. Hoffmann), der eigentlich viel zu unexhibitionistisch fürs Gemeinschaftsleben ist und daher öffentliche Duschauftritte meidet. Als WG-Ältester und wohl auch Gründungsvater ist er dafür verantwortlich, dass der einzige nicht ganz normierte Standard unter den sitcomartig schematisierten Bewohnern eingehalten wird: Die Wohnung ist ein Safe Space, ein geschützter Raum für Schwarze.

Warum sich die Bewohner dafür entschieden haben, das kommt gelegentlich eher ironisch zur Sprache. Schließlich will Joy nicht schon beim ersten Kaffee daran erinnert werden, dass sie nicht weiß ist. Vicky findet so einen Identitätskonflikt äußerst pubertär und ist generell die Frau, die innerhalb der Gemeinschaft die (katholischen) Gegenpositionen einnimmt. Eigentlich findet sie sogar den Safe Space überholt, weil sie nicht „den einen Rassismus durch einen anderen ersetzen“ will.

„Schwarz tragen“ war ein Stückauftrag an die Schauspielerin und Drehbuchautorin Elizabeth Blonzen für die erste Eigenproduktion am Ballhaus Naunynstraße unter der Leitung von Wagner Carvalho und Tuncay Kulaoglu, die gleichzeitig „Black Lux“, das einmonatige „Heimatfestival aus schwarzen Perspektiven“ abrundet. Vier Wochen, in denen Rassismus großgeschrieben und so oft thematisiert wurde, dass es durchaus penetrant wirkt, und in denen das politische Anliegen sich teils deutlich vor das künstlerische stellte.

Aber die Hartnäckigkeit des Versuchens lädt auch dazu ein, Themen, die man glaubt intellektuell verstanden zu haben, immer wieder mit der Gefühlsebene abzugleichen und die eigenen Reaktionen zu prüfen. Ganz klar hat mir das Ballhaus im letzten Jahr, als die politische Linie von Carvalho und Kulaoglu immer deutlicher wurde, mehr beigebracht als jedes andere Theaterhaus Berlins. Aber reicht es, als Theater eine Art coole Volkshochschule mit Kunstpädagogik zu sein?

Mehr bietet „Schwarz tragen“ als fingierte Laborsituation kaum. Zwar spielt Thelma Buabeng ihren naiven Stereotyp Joy wirklich verlässlich gut. Und dank der promisken Figur Eric – der über Memoiren mit dem Titel „Ein Schwanz packt aus“ nachdenkt und sich als schwarzes Model für Gummistiefel mit den Rassismusauflagen seines Geschäfts („Ich mach nur unten“) abgefunden hat – könnte etwa eine Seite schmissiger, schlüpfriger Dialogwechsel aus dem Text exzerpiert werden. Ansonsten beschränkt Elizabeth Blonzen sich mit der Fantasie für ihre Figuren auf Boulevard-Lehrbuchhaftes und ergießt sich zum Schluss in ziemlich unglaubwürdige (innere) Monologe.

Plötzlich sagt etwa Joy: „Wer bin ich, und wenn ja, wie viele“, obwohl sie ansonsten nur mit Tagträumen und Schwangerschaftstests beschäftigt war. Auch Branwen Okpakos Regie bietet den Schauspielern wenig Fantasie und wenig Hilfe in der Personenführung. Man meint, den beobachtenden, zurückhaltenden Blick der Dokumentarfilmerin zu spüren, der fiktiven Figuren aber nicht viel weiterhilft. Die Videoprojektion aus dem WG-Hinterraum von Offstage sind unnötig, weil sie inhaltlich keine Erweiterung bringen. Das Konzept, eine erfahrene Filmregisseurin und eine geschulte Drehbuchschreiberin mit einem Theatertext zu beauftragen, hätte ästhetisch einen konzeptuellen Rahmen gebraucht.