Weit über das Markenzeichen hinaus

ISS, TRINK, STIRB In seinem autobiografisch motivierten Werk, in dem er Hard-Edge Abstraktion, Pop Art und konzeptuelle Spracharbeit vereint, beschäftigt Robert Indiana der American Dream und dessen dunkle Seite

VON OPHELIA ABELER

Als der Maler Robert Clark sich 1958 in Robert Indiana umbenannte, tat er dies, weil er gerade ein Bild beendet hatte, das er als Durchbruch empfand. Er nannte es „Stavrosis“, Kreuzigung. Clark wurde 30 in diesem Jahr und suchte schon seit geraumer Zeit nach seiner künstlerischen Identität. Er war bei den Abstrakten Impressionisten im New Yorker West Village gewesen, konnte sich ihnen aber allein schon aufgrund seiner Geldnot nicht länger anschließen. Weder konnte er es sich leisten, eimerweise Farbe auf Leinwände zu stapeln, wie er es einmal formulierte, noch, eimerweise Alkohol in sich hineinzuschütten. Dazu fand er ihre Einstellung chauvinistisch.

So stand er in seinem Loft in Coenties Slip, einer der ältesten, nur drei Blocks umfassenden Straße im Süden Manhattans, direkt am East River mit Blick auf die Brooklyn Bridge. Walt Whitman hatte hier eine Weile gelebt. Die alten Hafengebäude waren zwar denkbar primitiv, es gab kein warmes Wasser, und Clark ging zum Duschen ins Wohnheim der Christlichen Seefahrt. Die Malerei betreffend war es aber die Neue Welt, zu der unter anderem Agnes Martin und Ellsworth Kelly gehörten. Clark war mit ihm liiert und begriff langsam, dass es eine Befreiung war, seinen Einfluss zu akzeptieren. Er fand, es sei so weit, den Namen Robert Clark abzustreifen – denn dass Robert Clark einmal etwas Nettes passieren könnte, gefiel ihm nicht.

Über ein halbes Jahrhundert später hat Robert Indiana endlich und Gott sei Dank zu Lebzeiten eine Retrospektive in New York bekommen: „Beyond Love“ im Whitney Museum, kuratiert von Barbara Haskell. Die Ausstellung ist sensationell gut gehängt, jede Blickachse erzeugt interessante neue Kontexte. Haskell ist auch für den prachtvollen Katalog verantwortlich, der eine umfassende Biografie und viele Interviews mit Indiana enthält.

Kaum ein Künstler hat sich so ausführlich zu seinem Leben und Werk geäußert wie Indiana. Er arbeitete immer bekennend autobiografisch. Der American Dream und seine dunkle Seite beschäftigte ihn. Zahlen, die auf Ereignisse hinweisen, private und geschichtliche, Wörter, imperativisch gemeint, sind auf seinen grafischen Bildern zu lesen, die an Schildermalerei erinnern, an Highway-Werbetafeln. EAT, DIE, TILT, ERR – die Schrift ist im Stil alter Messingschablonen gehalten, die Indiana in den Gebäuden in Coenties Slip gefunden hatte. Umso tragischer ist es, wie ein Bild sein gesamtes anderes Wirken so in den Schatten stellen konnte. Jenes Bild, auf das der Ausstellungstitel „Beyond Love“, jenseits von Liebe, sich bezieht. Die roten gestapelten Lettern auf blauem und grünem Grund, das gekippte „O“: Jeder kennt es, kaum einer weiß, von wem „LOVE“ ist. Indiana malte es 1966, als er sich stark mit der Bedeutung des Wortes auseinandersetzte. Das Museum of Modern Art hatte um einen Entwurf für die Weihnachtskarte gebeten. Zunächst konnte keiner es lesen, dann sah man es nur noch, weil Indiana sein Copyright nicht im Auge gehabt hatte. In den Händen der Counterculture-Bewegung war es noch in Ordnung, aber auf Bürotassen und Fußmatten? Indiana wurde Ausverkauf vorgeworfen; schlimmer war, dass seine anderen Werke in diesem Zusammenhang weniger ernst genommen wurden.

Indiana selbst machte tatsächlich einige Love-Skulpturen und Editionen, aber er arbeitete grundsätzlich in Serien und Variationen. Von den Wegmarken, den „herms“, die er aus alten, in Coenties Slip gefundenen Schiffsmasten baute, gibt es eine regelrechte Armee, die jetzt im Whitney aufmarschiert. Ihm hier „zu viel“ vorzuwerfen fiele niemandem ein, genauso wenig wie bei seiner Serie „American Dream“. Die gibt es von Nummer eins bis neun, einige hängen in der Ausstellung, ebenso wie ein paar Selbstporträts aus der „Decade“-Reihe , womit Indiana sein Leben in den 60er Jahren meinte.

Doch besonders berührt, wie sich Indiana in einer anderen Werkgruppe mit der Liebe auseinandersetzt. Als er 1978 auf die Insel Vinalhaven in Maine zog, begann er, sich mit Mardsen Hartley zu beschäftigen, einem Maler aus dem Stieglitz-Kreis. Hartley hatte den Sommer 1938 auf der Insel verbracht, weil er – ähnlich wie später Indiana – genug hatte von der New Yorker Kunstwelt.

Ende der 80er Jahre begann Indiana dann mit den „Hartley Elegies“, basierend auf frühen symbolischen Porträts, die Hartley 1914/15 gemalt hatte. Sie zeigen eine Anhäufung von Orden, Standarten, Eisernen Kreuzen und Monogrammen. Hartley trauerte um den Kavallerieoffizier Karl von Freyburg, seinen Liebhaber, den er kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Berlin kennengelernt hatte und der gleich zu Beginn fiel.

Robert Indianas „Hartley Elegies“ bestehen aus 18 symbolischen Porträts, teilweise exakt so aufgebaut wie ihre Vorlagen. Aber Indiana schrieb den Namen Karl von Freyburgs offen aus, vereinte ihn mit dem Hartleys und fügte Namen und Initialen seiner eigenen Geschichte hinzu.

Warum er abert nicht wollte, dass Robert Clark einmal etwas Nettes passiert? Zwei der wenigen figürlichen Bilder in der Retrospektive könnten einen Hinweis liefern. Es sind die Porträts seiner Eltern. Präziser: Adoptiveltern. Die Mutter massig, stark, mit entblößter Brust, der Vater grau, dünn, ohne Hosen unter dem Mantel. Beide stehen sie jeweils neben einem Ford T. Sosehr er ihr Kind war, so sehr war er es eben auch nicht. Ihr rastloses Leben, ihre Suche nach dem amerikanischen Traum, ihr Scheitern – das sollte ihm alles nicht passieren. Ihre Ehe zerbrach, und die einzige Konstante im Leben Roberts, der seine leiblichen Eltern nie kennenlernte, war sein Wille, sich selbst zu erschaffen – und die Gewissheit, Amerikaner zu sein, aus dem Herzen des Landes, aus Indiana.

■ Bis 17. 12., Whitney Museum, New York, Katalog 60 US-Dollar