ZWISCHEN DEN RILLEN
: Aufmucken im Finsterwald

Darkside: „Psychic“ (Other People/Matador/Beggars/ Indigo)

Kalt ist es auf der Darkside, wo Nicolas Jaar und Dave Harrington stehen. Ein finsterer Wald, dichter Nebel, aus der Ferne erklingt ein verwaschenes Gitarrenriff, Bässe grollen dumpf – aber wo kommen die Sounds bloß her? Weg sind sie, verdrängt von fiepsig hohen Synthie-Sounds. Knistern, Rauschen, eine Orgel setzt ein, zieht einen Ton ins scheinbar unermesslich Schrille. Und nach unendlich scheinenden sechs Minuten haben sich Sounds und Beats schließlich zu einem songähnlichen Gebilde geordnet und wabern vor sich hin.

So beginnt „Psychic“, das Debütalbum von Darkside, einem Duo, bestehend aus dem House-Wunderknaben Nicolas Jaar und dem Jazzbassisten Dave Harrington. Ihre Kollaboration ist der Versuch, Rock und Techno zu verbinden, und ganz nebenbei werfen sie damit die Frage auf: Wo fängt Musik an, wo hören Klangspielereien auf? Knistern, Knarzen oder Fiepen – wann werden diese Geräusche zu Musik?

Nicolas Jaar ist einer jener Produzenten, wie sie in den vergangenen Jahren in mehrfacher Ausführung zum Genie erklärt wurden: siehe auch James Blake. Wie Blake ist Jaar unter 25 Jahre, anämisch, zurückhaltend, und wie dieser bastelt auch Jaar im Schlafzimmer an einer elektronischen Musik als Gesamtkunswerk.

Jaar steht seit seinem Debütalbum „Space is only noise“ 2011 für eine entschleunigte Version von House, alsbald gründete er auch sein eigenes Label Clown & Sunset.

Dave Harrington komponierte Film und Theatermusik, bevor er 2011 zu Jaar in die Liveband kam. Im gleichen Jahr noch erschien eine EP von Darkside. Auf dem Debütalbum befinden sich nun acht Stücke zwischen anderthalb und zwölf Minuten Länge. Weder laut noch leise, weder Techno noch Rock.

Stattdessen klingt „Psychic“ nach Experiment, und man fragt sich bald, ob Gitarren und Laptopsounds überhaupt zusammenpassen. Dass diese Fusion kompliziert ist, zeigt sich schon am Aufbau der Stücke. Da stehen unendliche Technoelemente gegen klassische Rockstrukturen: Strophe, Refrain, Bridge, Refrain. Wo sollte der Kompromiss liegen? Einzelne Stücke auf „Psychic“ ergeben ein großes Ganzes: Ein Brodeln zu Beginn, dann setzen Beats ein, Soundschnipsel um Soundschnipsel werden aufgetürmt, und am Ende erklingt ein stürmisches Finale: „Heart und Paper Trails“ hat so etwas wie klassische Songstrukturen. Hier dominieren die Gitarren, mal im schweren Blues, mal filigran gezupft, dazu ertönt eine rauchige Stimme.

Anders „The only shrine I’ve seen“, oder „Greek Light“ – diese eher fragmentarischen Arbeiten wirken wie herausgeschnitten aus einem längeren DJ-Set, Skizzen ohne Anfang und Ende. Es sind die elektronischeren, die clubtauglichen Momente, in denen Jaar hörbar die Oberhand führt. Zwar flimmert Harringtons Gitarre immer wieder auf, ordnet sich aber brav unter das dominante Klangdesign aus Beats und Sounds. Wer „Psychic“ hört, sieht sie förmlich vor sich, die beiden Musiker, in Experimente versunken zwischen Bildschirmen, Audio-Mixern, Effektgeräten und Gitarren. Wie sie herumschrauben, Knöpfe drücken, riffen, bis ein Klangbild entsteht, das zu ihnen passt: Irgendwo zwischen schräg, überwältigend und gerade noch erträglich. Manchmal verdaddeln sich Jaar und Harrington allerdings heillos: zu düster, zu verworren, zu selbstzufrieden klingt es dann. Nur in dem großartigen „Freak go home“ werfen Jaar und Harrington alles gewinnbringend durcheinander und lassen durch Reduktion Raum zum Atmen. Was also ist „Psychic“? Eher Techno oder mehr Rock? Ein klassisches Duo-Album oder der finstere Nebelwald vom Anfang des Albums? Wahrscheinlich wissen es Jaar und Harrington selbst nicht. ANNE FROMM