Borniertheit aufbrechen

KUNST Die Ausstellung „BrandSchutz“ wendet sich mit Installationen im Stadtraum in Jena gegen Mentalitäten der Intolerenz

Für „Das Jüngste Gericht“ haben acht Kinder hinter einem Richterpult Platz genommen. Ihre Gesichter zeigen ihre Entschlossenheit, aus der Masse ihrer Altersgenossen herauszutreten, um zu richten. Porträtiert hat sie der Berliner Maler Christoph Wetzel. Die Namen der Kinder aus Äthiopien, Kongo, Vietnam, mit denen er in direktem Kontakt war, stehen auf der Rückseite des Bilds. Und so befindet sich der Bildbetrachter in der Position des Angeklagten, dem etwa Rosine Gassacky aus der Demokratischen Republik Kongo einiges zu sagen haben scheint.

Wetzels Bild ist Teil der Ausstellung „BrandSchutz“, die das Instituts für Kunstgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und der Kunstverein Jena gemeinsam initiiert haben. Verena Krieger, die das Institut der Kunstwissenschaftler leitet, ist sich bewusst: „Eine Kunstausstellung mit der Absicht, autoritären und menschenfeindlichen Stimmungen in der Gesellschaft entgegenzuwirken, ist kein ganz einfaches Experiment.“ Und doch konnten die Initiatoren einundzwanzig Künstler und Künstlerinnen dafür gewinnen, Mentalitäten der Intoleranz auf bisher von der Politik übersehenen Terrains aufzuspüren und an öffentlichen Orten der Stadt die Bürger mit ihren Arbeiten zu konfrontieren.

Martina Geiger-Gerlach fand für ihre Videoinstallation „Gastspiel“ acht wohnsitzlose Frauen in einem Stuttgarter Obdachlosenheim, die bereit waren, sich auf Zuschauersitzen eine Stunde lang filmen zu lassen. Die Künstlerin verließ mit Beginn der Aufnahme den Raum. Wer das Video nun in der Ausstellung „BrandSchutz“ in Jena anschaut, begegnet den Frauen auf Augenhöhe – allerdings sind sie durch ihr Leben auf der Straße schon „geübte Zuschauerinnen“.

Auf zahlreichen Green Screens, die unter dem Gewölbe der Jenaer Stadtkirche hängen, sind in unscharfen hellen Flecken Menschen in Bewegung zu erkennen: Flüchtlinge aus Markus Döhnes „Refugee Series“. Nichts unterscheidet hier die fast körperlosen Schemen aus dem Spanischen Bürgerkrieg von denen flüchtender Marokkaner.

Kontrolle Wärmebild

Der Versuch, Konturen zu erkennen, versetzt uns in die Rolle von Häschern im Dienst einer Staatsmacht. Markus Döhne arbeitet mit dokumentarischem Material von Wärmebildkameras.

Das Jenaer Stadtmuseum ist mit einer Arbeit in den „BrandSchutz“ involviert. Ein Fotofix-Automat, gleich hinter dem Eingang, lässt unter einem halblangen schwarzen Vorhang zwei sich eng gegenüber stehende Beinpaare in Jeans sehen. Am Boden ein weißes T-Shirt. Wer hier stehen bleibt, den erklärt das Künstlerpaar Elmgreen & Dragset zum „Voyeur“.

Im Film „Schwarz Weiß Deutsch“ setzt Nico Sommer ein Liebespaar auf die Couch, das allein durch seine äußeren Unterschiede humorlose Zuschauer auf eine harte Probe stellt. Der weiße Mann im Feinrippunterhemd und die zierliche, gut gekleidete schwarze Frau sprechen über Liebe und Kinderwunsch. Geschickt lässt der Filmemacher die Unterhaltung der beiden in eine Richtung gehen, die trennende kulturelle Eigenheiten nicht ausklammert und gleichzeitig Klischees in ihrer Mischung aus Rassismus und Dummheit entlarvt.

„Raum für grenzwertige Mitteilungen“ bietet am Marktplatz das in Teilen älteste Haus Jenas, nämlich der Stadtspeicher mit seiner 2003 vorgesetzten Hologrammfassade. Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper laden hier die Bevölkerung ein, eigene Gedanken zur Grenze zwischen Toleranz und Intoleranz zu formulieren, die dann in Großbuchstaben auf der Glasfassade erscheinen. Überraschend ist in Jena die Vielfalt künstlerischer Formulierungen, die Borniertheit und Einstellungsmuster als Vorstufen des Rechtsextremismus kenntlich machen und brandmarken.

GABRIELE HOFFMANN

■ „BrandSchutz“ ist in Jena bis 17. 11. zu sehen, Begleitbuch 5 €