Genie, Tradition, Gelächter

KUNST Die Weserburg widmet dem Maler Werner Büttner eine Retrospektive. Die Bilder des einstigen „Neuen Wilden“ wirken heute allerdings eher erdrückend als befreiend

Ein Film aus Genieattitude, männlicher Maltradition und schallendem Gelächter liegt über der dick aufgetragenen Farbe

von Radek Krolczyk

Warum in aller Welt frisst die Kuh nur diesen blauen Pullover? Braun und groß und stumm blickt sie von ihrer Leinwand. Es ist, als hielte sie einen Moment inne. Ein wenig so, wie für ein allerletztes Bild. Ein Stückchen Ärmel hängt ihr noch aus dem Maul. Der Rest hat wohl seine Reise durch ihre vier Mägen bereits angetreten. Wäre nicht diese Titel, wüsste man nicht, was die Kuh hier frisst. Der Maler Werner Büttner hat diese letzte Aufnahme gemacht und ihr diesen Titel gegeben. Ganz ohne Wehmut, nur so nebenher. Büttner versieht seine Bilder fast immer mit solcherlei literarischen Titeln.

„Gemeine Wahrheiten“ heißt die gerade erst in der Weserburg eröffnete Retrospektive des 59jährigen Künstlers. Gezeigt werden neben den Bildern auch Skulpturen, Collagen und Zeichnungen. Titel wie den mit der Kuh findet man in dieser bislang größten Büttner-Schau zuhauf: „Der Künstler reißt sich als Baby die Windeln vom Leib“, „Überfahrener Hippie im ägyptischen Stil“ und „Decolletégewitter“.

Wie bei Martin Kippenberger spielt bei seinem Zeitgenossen Werner Büttner immer wieder auch die politische Ikonografie eine Rolle. Die Serie „Die Russische Revolution – Vom Hörensagen und in Öl“ von 1985 versammelt, wie eine Serie Sammelbildchen, seltsame Szenerien: Ein Schwein mit Ähren im Maul hat den zusätzlichen Untertitel „Fünf-Jahresplan“, offenstehende hölzerne Fensterläden „Sturm im Winterpalais“.

Bei solcherart literarischer Malerei, stellt sich schnell die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Bild. In den westlichen Kulturen wird das Bild der Sprache untergeordnet. In Kunstausstellungen sucht man gerne beim Betrachten eines Bildes Rat beim Titel. Die Angabe „Ohne Titel“ birgt nur allzu oft Enttäuschungen. Werner Büttners Bilder spielen mit diesen Erwartungen. Seine Titel geben den scheinbar richtungslosen Bildern einen Sinn, der auf der einen Seite zwar absurd ist, der auf der anderen Seite aber die Bilder aus seiner Umklammerung nicht mehr entlässt. Bald liest man nur noch Titel, man schmunzelt über sie und sieht nichts mehr, und die absurden Titel werden von Mal zu Mal fader. So eine Ausstellung wird schnell zu einer Ansammlung lustiger in Öl gemalter Bilder. Eine begehbare Witzesammlung. Der Auszug der Wirklichkeit, den diese Bilder einfangen können, ist äußerst schmal.

Der in Jena geborene Büttner gründete 1976 zusammen mit dem Maler Albert Oehlen die „Liga zur Bekämpfung des widersprüchlichen Verhältnisses“ und 1984 unter anderem mit den Malern Martin Kippenberger und A. R. Penck die Band „Die Rache der Erinnerung“. Mit dieser Band spielte er Michael Jacksons „Bad“ und „Yupidu“ von Adriano Celentano. Das war wirklich lustig.

Alle diese Künstler wandten sich gegen die konzeptuellen Ansätze der Kunst der 70er Jahre, die sie als zu verkopft kritisierten. Büttner, Penck und Kippenberger begannen damit, auf großen Leinwänden in Öl zu malen, mit viel Häme, Humor und groben Strichen. Man bezeichnet diese Gruppe als „Neue Wilde“. Deren Wildheit aber ende am Bilderrahmen, hatte Jürgen Wesseler, Leiter des Kabinetts für Aktuelle Kunst in Bremerhaven mal spöttisch geäußert. Man nimmt den Bildern ihre Ironie und Radikalität nicht so richtig ab. Ein Film aus Genieattitude, männlicher Maltradition und schallendem Gelächter liegt über der dick aufgetragenen Farbe.

Büttner gibt künstlerische Fragestellungen, wie sie von konzeptuell arbeitenden Künstlern aufgeworfen werden, in seinen eigenen Bildern der Lächerlichkeit preis. Immer wieder findet man solcherart Seitenhiebe. So etwa in der berühmten Serie „Die Probleme des Minigolfs in der Europäischen Malerei“ von 1982. Was auf dem Bild zu sehen ist? Spielt es überhaupt eine Rolle?

Vielleicht ist es aber auch eine Generationenfrage, ob man zu dieser Art von Malerei einen Zugang findet. Vielleicht muss man in den 80er Jahren erwachsen gewesen sein, um diese Art der Auflehnung als befreiend zu begreifen. Es gibt durchaus auch Gesten der Auflehnung, die eher erdrückend wirken. Heute erscheint etwa die Konzeptkunst, über deren Verkopftheit Maler wie Büttner sich in den 80er Jahren lustig machten, sehr viel offener und humorvoller als diese schweren dunklen Schinken, mit ihren groben Strichen.

■ bis 23.2.2014, Weserburg