Neues Album von Justus Köhncke: Durchaus ein bisschen Psycho

Kinky Justice statt Mainstream: Auf seinem neuen Album, bringt Justus Köhncke schrullige Vocals und muskelspielenden Groove zusammen.

One-Man-Band mit Schmackes und Schmalz: Justus Köhncke. Bild: Kompakt

Er hat sich noch stets auf Abwege begeben, jenseits vom Mainstream. Trotzdem: House und Romantikpop bilden für ihn keine Gegensätze. Die Rede ist von Justus Köhncke, Veteran der Kölner Elektronikszene, ein stets mehrgleisig fahrender Produzent und DJ.

Bekannt geworden als Teil des Trios Whirlpool Productions und ihrem Hit „From Disco to Disco“, produziert Köhncke seit Ende der Neunziger verlässlich Clubtracks, meist für das Label Kompakt und covert Popevergreens wie etwa Neil Youngs „Old Man“ für das kleine Label iCi-Records. Selbst der Technoschlager, ein nicht ganz unproblematischer Begriff, wird unter der Fuchtel von Justus Köhncke zu einem anspielungsreichen elektronischen Melodram aufbereitet.

Auf seinen Soloalben „Was ist Musik“ (2002) und „Doppelleben“ (2005) veröffentlichte der 47-Jährige Songs mit deutschen Texten und mit Hang zum Kitsch. Zu camp seien diese Melodien, kritisierten diejenigen, die zu seiner Musik lieber nur tanzen wollten. „Irgendwann wollte ich damit nicht mehr foltern“, bekennt Köhncke im Gespräch. „Außerdem wurde um das Jahr 2005 deutschsprachiger Pop im Mainstream hoffähig. Mit Musik von Wir sind Helden konnte ich aber überhaupt nichts anfangen.“

Das Resultat dieser Einsicht war ein muskelspielendes Instrumentalalbum für den Club: „Safe and Sound“, veröffentlicht 2008, voll mit prägnanten und treibenden House-Tracks. Gesungen hat Köhncke trotzdem. Kurz vor „Safe and Sound“ veröffentlichte er die 10-Inch „music and lyrics“ unter dem Künstlernamen Kinky Justice, der so ähnlich klingt wie Köhncke Justus und übersetzt „schrullige Gerechtigkeit“ bedeutet.

Während „Safe and Sound“ die Tanzflächen füllte, setzte Justus Köhncke seine Stimme weiter auf ihre abwegige Art ein. Den Schlager legte er ad acta und griff mit Coverversionen, wie etwa „Candy says“ von Velvet Underground auf sein Solodebüt „Spiralen der Erinnerung“ von 1999 zurück. Und schuf wunderschöne Dub-Adaptionen der Originale. Darüber legt er konsequent seinen warmen und leicht jenseitigen Gesang, immer wieder bricht der deutsche Akzent ins Englische ein. Gestaltet ist das Albumcover mit einem Porträt des queeren Filmkünstlers Jack Smith. Auf den Camp-Vorwurf kann Köhncke kontern.

Er kann auch Camp

Auf seinem neuen Album durchmisst er nun altbekannte Terrains seiner Musikerkarriere mit Gewinn. „Justus Köhncke & the Wonderful Frequency Band“ ist ein Sammelsurium aus Tracks und Songs, House und Pop, deutsch und englisch gesungenen Texten. „Es ist eine Party mit allen Höhen und Tiefen, eine Clubnacht, die es so nicht wirklich gibt, außer in meinem Kopf.“

Mit Disco-House leitet Köhncke zu seiner eigenwilligen Party ein. Dabei brodeln funkige Basslines und glitzernde Keyboardsequenzen, über denen hie und da Synthietöne aus der Höhe fallen. Dazu wiederholt Köhncke staubtrocken „Flitter und Tand“. Klingt der Auftakt des Albums fröhlich und groovy, der zweite Track „Tell Me“ ist ein treffsicherer Dancetrack – so driftet Köhncke zunehmends ins Absonderliche ab, ohne den Pop gänzlich zu verlassen.

„Du kannst alles und jeder sein/Und du schweigst wie ein Grab/Dafür lieb’ ich dich“, singt er in dem Song „Selbstgespräch“ über einen reduzierten Elektrosound, der aber punktuell von bombastischen orchestralen Synthesizerfahnen durchbrochen wird. Bekannte musikalische Muster verbindet Köhncke in diesem Album, lässt raue Chicago-Housebeats auf sanfte Melodien prallen und kreuzt Detroit mit Discogrooves – alles passt in sich, wirkt packend und doch verschroben.

Zusammen mit Andi Toma von Mouse on Mars schuf Köhncke im Titelsong eine Art synthetische Countrysinfonie mit deutschen Lyrics. Sonderliche Satzkonstruktionen und absurde Inhalte prägen seine Texte, die, wie Köhncke selber sagt, „durchaus ein bisschen psycho sind“. „Mein Album ist elektronischer Dancefloor mit kleinen deutschen Gedichten oben drauf, es ist mein Popentwurf.“ Und der persönliche Popentwurf von Köhncke geht so weit, dass selbst Sperriges wie „Unaufmerksamkeitsblindheit“ in den Titel eines Tracks gerät.

Experiment mit Gorilla

„Inspiriert hat mich dazu ein Artikel über ein legendäres psychologisches Experiment. Ich wollte ihn sofort als Metapher benutzen.“ Darin wurde ein Gorilla in CT-Scans von Lungen collagiert. Radiologen haben bei der Durchsicht dieser Scans den Gorilla immer wieder übersehen. Köhncke singt: „Er stand da wie ein Geschenk/Ich sah ihn nicht, mein Blick beschränkt.“

Mit „Justus Köhncke & the Wonderful Frequency Band“ spielt der Produzent und Songwriter seinen künstlerischen Werdegang durch und lässt ihn in einem musikalischen Ikonoklasmus münden. Da darf eine Coverversion nicht fehlen: „Now that I found you“ von The Foundations. Ein prima Link ist dieses Finale zu den Anfängen seiner Solokarriere im Köln der Neunziger. Eine Zeit, in der Köhncke auch mit bildenden Künstlern wie Cosima von Bonin oder Kai Althoff Musik machte. Ihre internationale Strahlkraft ist mittlerweile verblasst, dafür wird diese Szene umso mehr mystifiziert.

„Für Außenstehende fühlt sich das magisch an, als würde man über die Factory im New York der Sechziger lesen. Aber es ist gar nicht so glamourös. Kunst- und Musikszene in Köln überlappten damals auf sehr schöne Weise. Das war eine wichtige Ära.“ Heute lebt Justus Köhncke, wie so viele von damals, in Berlin. Darauf sollen sich die chauvinistischen Berliner aber ja nichts einbilden: „London, Oslo oder Săo Paulo sind allemal geiler.“ Schon wieder fährt er gegen die Spur, gut so.

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