Wird vermisst

KUNSTFORSCHUNG Auf der Suche nach der verlorenen Kunst – die Rekonstruktion der Kunstsammlung Charlottenburg in der Villa Oppenheim als spannende „Spurensuche“

Hat man die Bronze in der NS-Zeit aus der Sammlung „herausgesäubert“. Sie an Unbekannt verkauft. Eingeschmolzen?

VON ANITA KUGLER

Ein üppig gedrechselter Goldrahmen, so repräsentativ wie man ihn im 19. Jahrhundert liebte, etwa anderthalb auf einen Meter groß. Aber nichts darin und nichts dahinter. Das dazugehörige Gemälde ist „ausgerahmt“ worden. Nicht mit dem Messer herausgeschnitten, so wie es eilige Diebe tun, sondern fachgerecht herausgelöst. Aber von wem? Und wo? Und wann?

„Wir wissen es nicht“, sagt die Kunsthistorikerin Sabine Meister, Kuratorin der gerade auch im Zusammenhang mit dem Münchner Kunstfund aktuellen Ausstellung „Spurensuche“ in der Villa Oppenheim – eine Erforschung der Kunstsammlung Charlottenburg. Immerhin weiß Meister nach einigen Recherchen, was einst in diesem Rahmen hing: ein Gemälde von Johann Carl Schultz aus dem Jahre 1852, „Das Innere des Artushof in Danzig“. Es gehörte der Berliner Industriellen- und Mäzenatenfamilie Raussendorff, die 1904 ihre Kunstsammlung der damals noch selbstständigen Stadt Charlottenburg vererbte. Der Grundstein einer sich bis in die Dreißigerjahre langsam vergrößernden Sammlung von 450 Gemälden, Grafiken, Skulpturen.

Dann kamen die Nazis und der Zweite Weltkrieg, Ankäufe nach dem Geschmack der Zeit, vielleicht auch eine „Selbstsäuberung“ von der Moderne, Fliegerangriffe, Auslagerungen, Rückführungen irgendwohin. Auch Desinteresse oder Inkompetenz wird beim Zugriff auf die Sammlung eine Rolle gespielt haben. „Kartoffeln waren damals wichtiger als Kunst“, kommt in der Ausstellung ein Zeitzeuge zu Wort, der Ende 1945 ein Dutzend in einem havelländischen Tuberkuloseheim ausgelagerte Gemälde vor plündernden Soldaten gerettet hat.

Im oder gleich nach dem Krieg verschwanden aber nicht nur die Kunstwerke wie das Gemälde von Schultz, sondern ebenfalls die Akten, die Kataloge – und über die Jahrzehnte ging auch die Erinnerung verloren, was man einmal und warum, wann und von wem angekauft hatte.

Jetzt hat Sabine Meister in einer jahrelangen Detailarbeit rekonstruiert, welche Kunstwerke die Stadt und später der Bezirk Charlottenburg einst besessen hat und was während des Krieges und danach mit den fehlenden Objekten möglicherweise geschehen ist. Anhand von Dokumenten wird diese Spurensuche in der Ausstellung vorgestellt. Womit Neuland betreten wird. Kein anderes Museum in Berlin hat Ähnliches je öffentlich gemacht.

Provenienzforschung, also die Untersuchung der Herkunftsgeschichte von Kunstwerken, und im nächsten Schritt Verlustforschung ist wegen ungeklärter Restitutionsfragen ein schwieriges Terrain. Ein Terrain, das mit den in München bei Cornelius Gurlitt gefundenen rund 1.400 Kunstwerken und dem Rätseln über deren Vorbesitzer momentan im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit steht. In der Villa Oppenheim ist zu sehen, welche Klippen die Herkunftsforscher zu überwinden haben, bevor sie Genaues über das Schicksal eines verschwundenen Objektes sagen können.

Der „Fallende Krieger“

Zum Beispiel im Fall der Bronzeskulptur „Fallender Krieger“. Nur weil sie in einem Ausstellungskatalog von 1917 gerühmt wurde, wusste Sabine Meister, dass das verschollene Werk von Wilhelm Gerstel – ein nackter, nach hinten fallender und mit einem Schwert bewaffneter Mann – einst Teil der Charlottenburger Sammlung gewesen ist.

Was aber geschah mit der Skulptur? Gerstel arbeitete im Dunstkreis von Käthe Kollwitz. Hat man die Figur vielleicht bei Anti-Kriegsausstellungen gezeigt? Der stürzende Krieger mit seinem verzerrten Gesicht widersprach diametral dem heroischen Kunstgeschmack der Nazis. Hat man die Bronze in der NS-Zeit aus der Sammlung „herausgesäubert“. Sie an Unbekannt verkauft. Eingeschmolzen?

Um Mitarbeit wird gebeten

In einem Flugblatt werden die Besucher aufgefordert, sich zu melden, sollten sie Näheres über die in der Ausstellung erwähnten Objekte wissen. Und zwar nicht nur zu den verschollenen, sondern auch – ein Novum in der Museumslandschaft – zu den Exponaten, die noch in der Sammlung sind, von denen man aber nicht weiß, wem sie einst gehört haben und wie sie in den Besitz der Sammlung gekommen sind.

Etwa das aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammende Ölgemälde „Kirchgang“ von Carl August Rodde im goldgeschnörkelten Orginalrahmen. Es gibt keine Herkunftsbezeichnung, Hinweise aber verraten, dass es während der NS-Zeit angekauft wurde. Zur Volksbildung? Aus einer Auktion von jüdischem Besitz? Solange die Provenienz nicht eindeutig geklärt ist, wird das Gemälde nach der Ausstellung wieder im Depot verschwinden.

Die Charlottenburger „Spurensuche“ ist ein Beitrag zum Berliner Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“. In diesen Kontext gehört auch das Werk und das Leben von Alfred Helberger. Über 70 Jahre befand sich sein Gemälde „Spitzbergen“ eingesperrt in einem Kunstlager, jetzt hängt es in der Villa Oppenheim gleich neben Max Liebermann und gegenüber von Adolph Menzel an prominenter Stelle. Sabine Meister hat lange nach Helbergers Spuren gesucht. Bis auf Eckdaten blieben sie grau. Geboren 1871, Berliner Sezessionist, Mal- und Berufsverbot durch die Nationalsozialisten, seine jüdische Frau kam in ein KZ und nicht mehr zurück. 1946 brachte sich Helberger um.

Eine zerstörte Biografie. Auch das ein Verlust.

■ „Spurensuche. Die Kunstsammlung Charlottenburg 1908-1945“: Villa Oppenheim, Schloßstraße 55, bis 30. März 2014