Eine Kultur der Pflichtverletzung

SUHRKAMP Die nun vorliegenden Begründungen des Urteils zeigen, wie ruppig es im Verlag zuging

Interessiert sich noch jemand für die Tricks und Unverschämtheiten, mit denen sich die Akteure im Suhrkamp-Drama das Leben schwer machen? Wenn ja, dann bietet das jetzt veröffentlichte Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main reiches Anschauungsmaterial.

Mit einem klaren Unentschieden endete Mitte November der jüngste Prozess des Trauerspiels. Es war ein Unentschieden der roten Karten. Das Landgericht Frankfurt fand, jede Seite habe sich so unkooperativ verhalten, dass die andere Seite einen Anspruch auf Ausschluss der Widersacher gehabt hätte. In der nun vorliegenden schriftlichen Begründung ist das ganze Elend nachzulesen. So findet das Landgericht, dass sowohl die von Ulla Unseld-Berkéwicz geführte Familienstiftung als auch die Medienholding von Minderheitsgesellschafter Hans Barlach in der Öffentlichkeit „diffamierend“ und „diskriminierend“ über die andere Seite geredet haben. So habe Barlach der Suhrkamp-Geschäftsführung „Untreue“, also eine Straftat, vorgeworfen. Umgekehrt habe der Anwalt Peter Raue, Vorstandsmitglied der Familienstiftung, Barlach einen „ganz tief sitzenden Hass gegen die Suhrkamp-Kultur“ attestiert, dieser wolle „Geld oder den Verlag zerstören“. Solche Äußerungen seien, so die Richter, „für eine sachliche Öffentlichkeitsdarstellung des Verlags inakzeptabel“. Hier sei die „Seriosität der Gesellschaft“ berührt.

Gegenseitige Diffamierung

Beide Seiten hätten persönliche Interessen mit dem Verlagszweck vermengt. So habe Barlach mehrfach angeboten, sich seine Zustimmung zu dem Erwerb von Immobilien in Berlin quasi abkaufen zu lassen. Einmal forderte er die vollständige Ausschüttung des Jahresgewinns 2010 und dass die Medienholding in den Jahren 2013 bis 2017 eine „Garantierendite“ erhält. Unseld-Berkéwicz habe ihrerseits in einer Berliner Villa am Nikolassee, die ihr und ihrem Bruder gehört, Räumlichkeiten von über 500 Quadratmetern für monatlich 5.500 Euro an den Verlag vermietet, ohne ihre persönlichen Nutzungsrechte abzugrenzen. Zur vom Verlag bezahlten Ausstattung gehört ein Konzertflügel im Wert von 39.000 Euro „zur Nutzung durch den Bruder“, so die Richter. Dieses Geschäft habe Unseld-Berkéwicz ohne Zustimmung Barlachs vollzogen, obwohl sie diese nach dem Gesellschaftervertrag von 2009 benötigte. Auch ihre Informationspflichten habe sie dabei verletzt.

Die Richter weisen beiden Seiten rücksichtsloses und unkooperatives Verhalten in der Gesellschaft nach. Barlachs Medienholding habe per Zwangsvollstreckung zwei Sicherungshypotheken durchgesetzt, um seine finanziellen Forderungen durchzusetzen. Dabei habe er die Absicherung künftiger Darlehen für den Verlag erschwert. Umgekehrt habe die Familienstiftung aber gezielt die Schaffung von Liquidität für Barlachs berechtigte Ansprüche verhindert.

Scharmützel im Verlag

Die Gesellschafterversammlungen müssen nach Darstellung des Gerichts wie Scharmützel verlaufen sein. Mal kam die Familienstiftung nicht und führte gezielt Beschlussunfähigkeit herbei. Dann nutzte Barlachs Medienholding eine Abwesenheit der Familienstiftung aus, um die Geschäftsführung um Unseld-Berkéwicz abzuberufen. Manche der Vorwürfe wie die Anmietung der Villa am Nikolassee haben schon vor anderen Gerichten eine Rolle gespielt. Doch kein Gericht hat sie bisher so umfassend und ausgewogen dargestellt.

In der Summe genügten, so die Richter, all diese Verstöße gegen Gesellschafterpflichten, um beide Seiten aus der Gesellschaft auszuschließen. Da dies aber wenig Sinn ergibt, komme in solchen Fällen nur die Auflösung der Gesellschaft in Betracht – wenn sie beantragt ist. Tatsächlich hatte Barlach zeitweise die Auflösung des Suhrkamp Verlags beantragt und damit erheblichen Wirbel verursacht. Den Antrag hatte er indes längst wieder zurückgezogen, um der Gegenseite keine neuen Argumente im inzwischen begonnenen Insolvenzverfahren zu geben. Und ohne Auflösungsantrag endete das Verfahren letztlich ohne Ergebnis, aber mit erneut hohen Anwalts- und Gerichtskosten.

Mit Spannung wird nun erwartet, ob Barlach die für ihn ungünstige Umwandlung des Suhrkamp Verlags in eine Aktiengesellschaft akzeptiert oder ob er gegen dieses Ergebnis des Insolvenzverfahrens klagt. Vor einigen Wochen hat er angedeutet, er werde sich mit der neuen Situation „arrangieren“. CHRISTIAN RATH