Experimenteller Jahresausklang

KLANGKUNST Hamburgs zentraler Treffpunkt der experimentellen Musikszene lädt zum 19. Mal zum Jahresausklang-Festival ein. In der Hörbar gibt es Anspruchsvolles abseits gewohnter Konzertkost

VON ROBERT MATTHIES

Entdeckertugenden sind hier gefragt. Denn selbst geübten Fährtenlesern fällt es schwer, sich einen Überblick über die Protagonisten der aktuellen experimentellen Musik in Hamburg und ihre Aktivitäten zu verschaffen. Allerlei unausgetretenen Pfaden muss man da folgen. Nicht selten führen sie durch undurchdringlich scheinendes musikalisches Unterholz, meist beginnen sie abseitig – und noch häufiger enden sie dort.

Aber wer sich die Zeit nimmt, das verzweigte Archipel zwischen elektro-akustischer Klangkunst, Laptopbasteleien, Improvisation und aktueller Komposition zu kartografieren, wird mit einem Schatz belohnt: Die lokale Szene ist nicht nur vielseitig, sondern auch quicklebendig.

Beginnen kann man die Entdeckungsreise jeden Mittwochabend in der Bar des B-Movie. Das Foyer des Kinos verwandelt sich dann in die Hörbar, seit rund 20 Jahren Hamburgs zentraler Treffpunkt von Konsumenten und Produzenten experimenteller und elektro-akustischer Musik. Hier spielen sich die Freunde furchtloser Klangerkundungen gegenseitig die eigenen Werke vor, tauschen Informationen und planen gemeinsame Projekte. Oder lauschen einfach mal, welch interessante Klänge ein Bier erzeugen kann.

Anfang der 90er von Wolfgang Neven alias YTonG, Thomas Beck alias tbc und Malte Steiner – bekannt vor allem durch seine Projekte Notstandskomitee und Elektronenhirn – initiiert, konstituierte sich die stetig gewachsene Gruppe Anfang 1995 als gemeinnütziger Verein. Heute kümmern sich rund 30 Mitglieder darum, Produzenten und Konsumenten miteinander ins Gespräch zu bringen, die isolierten Aktivitäten untereinander und einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen und regionale wie internationale Netzwerke aufzubauen.

Regelmäßig finden im Kinosaal des B-Movie Konzerte, Lesungen, Tanzperformances und Filmvorführungen statt. Die Grenzen sind weit gesteckt, man ist offen für alle, die ihre Stücke vorstellen wollen. Seit 18 Jahren veranstaltet die Hörbar außerdem am Ende des Jahres ein „Jahresausklangfestival“. An zwei Abenden treten KünstlerInnen im Kinosaal auf, im Keller präsentieren sich derweil Labels, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb experimenteller Musik beschäftigen. Ende der Woche ist es wieder so weit.

Sechs Projekte sind am Freitag und Samstag zu hören. Den Auftakt macht das Hamburger Quartett Ur! Geller, das inspiriert von Bands und Künstlern wie James Chances Freejazz-No-Wave-Band The Contortions oder der New Yorker Ambient-Noise-Jam-Band Mars asymmetrisch-synkopischen No-Wave-Funk aufschreien und mit sich selbst kollidieren lässt. Im Anschluss blüht einer der raren Auftritte des ewigen Hamburger Geheimtipps Holger Steen. Als Tulip, die singende Tulpe führt der surrealistische Blumenkostüm-Artpopper klassischen Gesang mit skurrilen Texten und bisweilen geradezu kindlicher Verträumtheit zusammen. Der Letzte am Freitag ist das Oldenburger Hörbar-Mitglied Thorsten Soltau, der sich zwischen Minimalismus und digitalem Tonbandmitschnitt eingerichtet hat und sein Projekt „Balance & Akzentuierung“ präsentiert. Aus selbst modifizierten Schallplattenhängern und manipulierten Samples setzt Soltau einen Klang zusammen, der um kleinste Verschiebungen und Nuancen von knistrigen Nebelwelten hin zu rhythmischen Phrasen und Ebenen kreist.

Der Samstag beginnt mit dem US-Amerikaner Pierce Warnecke, der sich seit seinem Studium am Berklee College of Music vor allem für die Interaktion von Mensch und Maschine interessiert. Pierce stellt seine Klangperformance „Variations“ vor: Zu Beginn stehen alle verwendeten Geräte noch isoliert und unverbunden nebeneinander. Allmählich verknüpft Pierce billige Dictaphone mit quadrophonischen Klangquellen, kleinen Lautsprechern und Gitarrenverstärkern und bastelt aus elektrischem Brummen und allerlei Resonanzen improvisierte dröhnende Ebenen, gebrochen durch Fieldrecordings und Software-prozessierte Objektmanipulationen. Im Anschluss ist das Amsterdamer Duo Christoph Scherbaum und Cornelia Hanselmann zu sehen, das seit Jahren Tanz und improvisierte Live-Musik in ein beeindruckend intimes Verhältnis setzt.

Den Abschluss macht am Samstagabend dann das Duo Gozoff, hinter dem die Hörbar-Mitgründer Tobias Gronau und Jetztmann stecken, die nun das erste Mal gemeinsam auftreten. Gronau verzichtet dabei auf sein eigentliches Instrument, die Gitarre, und bringt präparierte Lautsprecher, eine Filterbank und einen Nord-Modular-Synthie mit. Auch Jetztmann kommt ohne Gitarre und speist einen Looper und andere Elektronik mit Bass-Signalen.

■ Fr, 27. 12. und Sa, 28. 12., je 22 Uhr, B-Movie