Von der Fixer- zur Gentristube

WIEDERERÖFFNUNG Der Club Fuchs & Elster in Neukölln ist nach einem halben Jahr Pause zurück. Ein Porträt der drei BetreiberInnen, die vom früheren Hype um ihre Location berichten

„Neuköllner Underground-Laden? Haha, eher ’n Umsonstpuff für die Extrahippen“, schimpft Mara123 auf dem „Qype“-Portal

VON MAX BÜCH
UND KAROLIN KORTHASE

Zahnbürsten können viel erzählen. Über die hygienischen Vorlieben ihrer Benutzer zum Beispiel. Über ihr Sozialverhalten. In der Weserstraße 207 gibt es viele Zahnbürsten. So viele, dass die Halter handschriftlich mit Namen versehen sind, damit es zu keinen Verwechslungen kommt. Eine ganze Zahnbürsten-Armada erstreckt sich da über die Badezimmerwand. Wohnt hier eine Großfamilie? Oder einfach Menschen mit ausgeprägtem Gemeinschaftssinn?

Letzteres ist der Fall. Dorle Martinek, 40, Julian Nelken, 34, und Robin Schellenberg, 27, sind urbane Aussteiger, die ihren Lebenstraum nicht auf dem Land, sondern mitten in der Stadt verwirklichen. In Laufnähe zum Hermannplatz betreiben sie das Fuchs & Elster – ein bunt-nostalgischer und hippiesker Veranstaltungsort, der im Erdgeschoss eine Bar und im Keller einen Club beinhaltet. Am vergangenen Wochenende feierte man nach einem halben Jahr Pause und umfangreichen Renovierungsarbeiten die große Wiedereröffnung.

Gleich neben dem Veranstaltungsort, in einer ausgebauten Fabriketage im Hinterhof, wohnen die drei Gründer, deren Leben sich um Arbeit oder deren Arbeit sich ums Leben dreht.

Trennen lässt sich das bei ihnen nicht. „Wenn Musiker bei uns spielen, dann essen die auch mit uns zu Abend“, erläutert Dorle. Und wenn Julian nachts im Bett liegt, kann er jedes Husten von nebenan hören oder den Gesprächen folgen. Am Anfang sei die Idee gewesen, einen „Ort zu schaffen, der sich nach Zuhause anfühlt, an dem sich Menschen willkommen fühlen“, erzählt Dorle.

Als sie vor vier Jahren zusammen mit Robin die Räumlichkeiten in der Weserstraße entdeckt hatte, war schnell klar, dass hier so ein Ort entstehen könnte. Nur die Umstände waren damals widrig. „In der Durchfahrt war ’ne Fixerstube, und in der Dachstube haben Zugedröhnte neben Tauben gelegen“, meint Robin. Generell sei die Stimmung in der Straße „ziemlich düster“ gewesen.

Zusammen mit Dorle zog er in jenem Jahr in einen Wohnwagen im Innenhof und begann mit dem Ausbau der Wohnung. Kurz darauf folgten die Bar und der Durchbruch zum Keller. Erfahrungen im Veranstaltungsbereich hatte zu diesem Zeitpunkt keiner aus dem Team: „Wir haben erst angefangen und dann nachgedacht“, sagt Dorle dazu und lacht.

Sie hatte zuvor als Grundschullehrerin gearbeitet und in der Anfangszeit des Fuchs & Elster noch beides parallel gemacht. Robin gab seinen Job als Headhunter schon kurz vor der Eröffnung auf. Nur Julian ist bei seinem Beruf als Barmann geblieben – bis heute. Während der Erzählfluss aus Robin heraussprudelt, sitzen die beiden anderen entspannt auf dem Sofa und hören zu. Dorle schließt sich den Ausführungen an, korrigiert ein bisschen Übertreibung hier, ein wenig Träumerei dort.

„Julian war sich sicher, es kommt kein Mensch“, erinnert sich Dorle an die Anfänge. Robin hingegen sei davon überzeugt gewesen, dass der Laden aus allen Nähten platzen würde.

Es wurde voll. Rappelvoll. Mit regelmäßigen Konzerten und den anschließenden Partyabenden waren die drei zur richtigen Zeit am richtigen Ort. „Wir haben nur noch gebaut und veranstaltet“, erinnert sich Robin. „Die ersten fünf, sechs Monate haben wir nur geackert“, pflichtet ihm Julian bei.

Der Club lief dann so gut, dass gar das Easy-Jet-Set aufmerksam wurde. Das Bordmagazin einer Fluggesellschaft, deren Billigflüge täglich tausende Partytouristen in die Hauptstadt befördern, kürte die Location zu einem ihrer Top-Nightlife-Tipps in Europa. Dazu kam der Aufstieg in den Reiseolymp des „Lonely Planet“ – Ehrungen, die bei den Betreibern auf wenig Gegenliebe stießen.

Soweit es möglich war, ließen sie die Tipps gar wieder entfernen und aus dem Netz nehmen – der Hype wurde ihnen zu viel, es wurde touristischer. Stammgäste blieben in Konsequenz nicht nur wegen des eingeführten Rauchverbots fern. „Neuköllner-Urtyp-Underground-Laden?? Haha, eher ’n Umsonstpuff für die ‚Extrahippen‘ und Erasmusstudent/innen inkl. seltsamer Türpolitik!“, polemisiert Mara123 auf dem Meckerportal „Qype“. Andere gaben dem Laden gar eine Mitschuld an der vielbeschworenen Gentrifizierung Nordneuköllns.

Die Betreiber begegnen solchen Vorwürfen mit Ironie: „Es gab schon mal die Überlegung, eine weitere Bar aufzumachen und sie ‚Gentristube‘ zu nennen“, erzählt Robin. Bei allem Sarkasmus ist man sich der Problematik aber durchaus bewusst. „Wir sind unabsichtlich auch kleine Investoren“, gesteht Dorle, „aber ohne Profitgier“, und kommt auf das zweite Großprojekt, das „zuhause e. V.“ zu sprechen.

Vor zwei Jahren haben die drei zudem das Neckarhofgebäude auf dem Gelände der alten Kindl-Brauerei mit dem Ziel angemietet, dort auf lange Sicht eine Art Kulturkosmos mit Theater, Kunst und Musik in Neukölln zu schaffen. Der Rückschlag folgte zur geplanten Eröffnung Mitte 2012: Aufgrund einer anonymen E-Mail an das Ordnungsamt Neukölln, die auf mangelnden Brandschutz hinwies, schritt das Amt ein und untersagte die Nutzung.

Einen neuerlichen Versuch wagten sie vorerst nicht, das Großprojekt eines Kulturzentrums liegt seitdem auf Eis. Die Enttäuschung darüber ist den dreien, auch wenn sie es nicht offen zugeben, noch immer anzumerken. Wenn Visionen auf Realität treffen, folgt leider oft Ernüchterung. Dorle, Julian und Robin haben die freien Kapazitäten genutzt, sind in der Zwischenzeit für Veranstaltungen mit ihrem Team an andere Orte ausgewichen, haben ein Sommerfest im Columbiabad Neukölln organisiert und sich vermehrt dem alten Club gewidmet, den sie im letzten halben Jahr auf Vordermann gebracht haben.

Dabei wollen sie sich nicht mehr so sehr verausgaben wie noch anfangs. „Wir sind eine sehr gesunde Gruppe. Geworden.“ Ein ausgeprägter Gemeinschaftssinn war auf dem Weg dorthin hilfreich.

■ Fuchs & Elster, Weserstr. 207, Neukölln. www.fuchsundelster.com