„Wir schauen oft weg“

KINO AUS ISRAEL Tom Shoval erzählt in seinen Film „Youth“ vom wirtschaftlichen Überlebenskampf einer Mittelschichtfamilie in Zeiten der globalen Finanzkrise – und blickt so auf die Realität seines Landes von innen

■ wurde 1981 in Petach Tikwa geboren. 2007 schloss er sein Studiums an der Sam Spiegel School for Cinema and Television in Jerusalem mit Auszeichnung ab. Seitdem arbeitet er als Drehbuchautor, Filmkritiker und Filmemacher. „Youth“ ist sein erster langer Film.

INTERVIEW SUSANNE KNAUL

taz: Herr Shoval, ihr Film „Youth“ spielt in einer langweiligen Kleinstadt, in einem anonymen Hochhausviertel, wo eine Familie der unteren Mittelschicht infolge der Arbeitslosigkeit des Vaters in die Armut abzugleiten droht. Diese Thematik hätte aber auch genauso in Griechenland oder Spanien angesiedelt sein können.

Tom Shoval: Es stimmt, dass mein Film von seiner Thematik her universell ist, weil er von einer wirtschaftlichen Krise handelt, die fast die ganze Welt betrifft, insbesondere die Mittelschicht. Ich glaube aber, dass es hier eine ganze Reihe israelischer Elemente gibt, die diese globale Krise mit der israelischen Lebensrealität verknüpfen. Mein Film macht eine Aussage über die Lage Israels und unseren Platz in der Welt.

Die meisten international erfolgreichen Filme haben, wenn es um Israel geht, entweder den politischen Konflikt, die Besatzung und Kriege zum Thema. Oder aber sie handeln von ultraorthodoxen Juden. Machen sich junge israelische Regisseure nun davon frei?

Die junge Generation der Filmemacher will die israelische Realität von innen zeigen und vielleicht ein neues Licht auf diese werfen. Die sozialen Proteste sind vor drei Jahren auch in Israel angekommen. Ich glaube, dass meine Generation von den Spannungen an den Grenzen und von der Besatzung beeinflusst ist, aber eben auch von anderen Elementen.

Ist Israel ein Land wie jedes andere auch?

Nein, das glaube ich nicht. Die Anspannung durch den israelisch-arabischen Konflikt und die damit verbundene existenzielle Angst wirken unmittelbar auf unsere Alltagsrealität. Dazu kommen aber eben auch die wirtschaftliche Realität und der finanzielle Überlebenskampf. Beide Elemente sind in unserem Alltag zu spüren.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen der Besatzung und der Rezession?

Die jungen Israelis müssen zur Armee, weil an den Grenzen Gefahr besteht, und sie müssen arbeiten, um finanziell über die Runden zu kommen. Ich glaube, weil die Realität so kompliziert und anspruchsvoll ist und voller Konflikte steckt, versuchen wir oft wegzuschauen. Wir sagen, okay, so ist es, aber wir ignorieren es. Dieses Verdrängen führt zu dem Druck und der Anspannung, in der sich unser Staat befindet.

Die Handlung dreht sich um eine absurde Low-Budget-Entführung durch zwei gewalttätige Brüder, mit denen man sich trotzdem identifizieren möchte. Insgeheim hofft man, sie mögen das Lösegeld schnell bekommen. Ihr Film führt den Zuschauern den alltäglichen Überlebenskampf der Israelis vor Augen. Ist „Youth“ auch eine Kampfansage gegen die Verdrängung?

Der israelischen Gesellschaft droht ihre Solidarität verloren zu gehen, sowohl nach außen als auch nach innen. Verdrängung spielt dabei eine große Rolle. In dem Film zeige ich die Unfähigkeit der Menschen, zu erkennen, wer vor ihnen steht, ihn zu verstehen und ihm zu helfen. Diese Unfähigkeit produziert schwarze Löcher der Anspannung, von Unverständnis und von Gewalt. Mein Film verurteilt deshalb auch die beiden Entführer nicht. Aber er macht es den Zuschauern gleichzeitig unmöglich, sich komplett mit den Helden zu identifizieren.

■ Tom Shovals Debütfilm „Youth“ erzählt die Geschichte zweier Brüder aus Petach Tikwa, einer Kleinstadt bei Tel Aviv. Jaki ist frisch beim Militär, vor seinen Freunden und dem zwei Jahre jüngeren Schaul prahlt er mit seinem Gewehr. Seit der Vater der Jungen arbeitslos ist, droht die Familie ihre Wohnung zu verlieren. Aus Liebe zu ihren Eltern und aus Verzweiflung entscheiden sich die Brüder, die eine fast symbiotische Beziehung miteinander verbindet, mit Jakis vorgehaltenem Gewehr ein junges Mädchen zu entführen, um eine Lösegeldforderung stellen zu können. Beide sind völlig überfordert von dieser Aufgabe. Wenn sie das Mädchen schlagen, damit es nicht schreit, erinnern sie dabei an kleine Hunde, die aus reiner Panik nach der ausgestreckten Hand schnappen. Weil sie kein Auto haben und kein abgelegenes Versteck, müssen die Entführer improvisieren und geraten damit in Situationen, die ihren Plan zu scheitern drohen lassen. Shoval zeichnet ein durchgängig beklemmendes Bild Israels, fernab von politischen Konflikten und der Besatzung. (sk)

■  „Youth“. R: Tom Shoval. Mit Eitan und David Cunio. Israel/Deutschland 2013, 107 Min.

Warum haben Sie sich für Laiendarsteller entschieden?

Ich suchte zwei Schauspieler, die physisch ihre besondere Beziehung zueinander erkennbar werden lassen. Professionelle Schauspieler waren mir dafür nicht authentisch genug, deshalb entschied ich mich für zwei echte Brüder. Wenn du Schauspieler im Alter von 16 und 18 Jahren suchst, findest du keine Profis. Als die Gebrüder Cunio zum Vorsprechen kamen, habe ich sofort ihre Verbindung erkannt, einmal die physische Ähnlichkeit, aber auch die Anspannungen und die Unterschiede zwischen den beiden.

Wie viel hat der Film mit Ihrer eigenen Geschichte zu tun?

Er spielt genau in dem Milieu, in dem ich aufgewachsen bin. Ich wollte auf cineastische Weise über meine starke Verbindung zu meinem Bruder erzählen. Obwohl er vier Jahre jünger ist, sind wir uns sehr ähnlich, die Leute verwechseln uns. Ich bin selbst in Petach Tikwa aufgewachsen in der Mittelschicht, und auch mein Vater ist nach 30 Jahren arbeitslos geworden. Das war eine fundamentale Krise für die Familie. Weil meine Eltern sehr pflichtbewusst waren, ein bisschen so wie die im Film, wollten sie uns nicht beunruhigen. Sie erklärten uns, es sei alles in Ordnung, aber wir wussten, dass es das nicht war. Diese Anspannung wollte ich auf die Leinwand bringen. Kino ist nicht nur Seismograf der Seele, sondern auch ein Verstärker für Gefühle. Für mich ist „Youth“ eine Zuspitzung dessen, was ich als Jugendlicher empfand.