Hasstiraden gegen alles, was neu ist

SCHAUSPIEL FRANKFURT Wie erzählt man vom Nationalsozialistischen Untergrund? Der Autor Lothar Kittstein versucht es mit Fiktionalisierung in seinem Drama „Der weiße Wolf“

Im Schlussbild beschnüffelt ein wolfsähnlicher Hund die Ruinen der Inszenierung, läuft hierhin und dorthin, bevor er die Stätte wieder verlässt. Ein gespenstischer Augenblick. „Der weiße Wolf“ von Lothar Kittstein erzählt von einem Mördertrio, dessen Taten in der Vergangenheit liegen und die nun versuchen, die Gegenwart zu schultern wie einen Sack Zement.

Vages Vorbild für die drei sind Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, das Trio des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Die beiden Männer richteten sich 2011 selbst, Zschäpe steht in München vor Gericht und schweigt. Das Stück ist eine Auftragsarbeit für das Frankfurter Schauspiel, wo es jetzt zur Uraufführung kam. Aufmerksamkeit ist bei diesem Thema gewiss, und nicht wenige Theater werden nachziehen, einige kleinere Produktionen zum Thema gab es ja schon.

Das Alleinstellungsmerkmal von „Der weiße Wolf“ scheint seine Fiktionalität zu sein. Kittstein geht es nicht um eine Dokumentation, sondern eher um eine atmosphärische Annäherung an die Dreiecksgeschichte: Janine und Gräck leben irgendwo in der Provinz ihr schäbiges Leben, er arbeitet als Türsteher der Disko „Der weiße Wolf“, sie fristet ihr Dasein mit Teleshopping und Baby im Bauch. Ines Schiller spielt Janine im weißen Flatterkleidchen als räudige Rinnsteinprinzessin, und Sascha Nathan gibt den Schreihals Gräck als schnell aufbrausenden Kerl an ihrer Seite.

Rache an einem verkommenen Land

Eines Tages schneit ihr alter Kamerad und Kampfgefährte Tosch in ihr Leben. Bei Torben Kessler wird er zum beeindruckend unheilvollen Typen mit akkurat um den Schädel gelegten gelben Haaren und gummiartigen Gelenken, der in Klamotten der Schwarzen Szene steckt (Kostüme: Janina Brinkmann). Er möchte die anderen überreden, wieder dort fortzufahren, wo sie damals aufgehört haben, sich wieder zu rächen an diesem Land für seine Offen- und Verkommenheit und für ihre eigenen, deutschnationalen Werte in den Kampf zu ziehen. Gemeinsam schrauben sie sich in wahre Hasstiraden, die sich gegen alle Schwarzäugigen wenden, gegen alles Andersartige, alles Neue.

Ihre Sehnsuchtsformel lautet „Wie früher!“ und ihre kleinbürgerlichen Glücksvorstellungen vervollkommnen sich mit einem Eigenheim und vielen Kindern. Darin wie auch in manch einem ihrer Ressentiments bilden sie keine großen Ausnahmen.

Regisseur Christoph Mehler steckt die drei in ein bunkerartiges Nirgendwo (Bühne: Nehle Balkhausen), eine schwarze Hölle, in der sie wie Vampire hausen. Dort gehen sie sich an den Hals und an die Wäsche, prügeln, knutschen und attackieren sich, wobei eine Umarmung bei ihnen immer nur eine Geste von einem Mordversuch entfernt scheint. Abstoßende Gestalten, die in ihrer Formelhaftigkeit wie eine Verharmlosung der tatsächlichen Mörder wirken.

Doch es gibt auch beinahe niedliche Momente, etwa wenn sich die beiden Männer gemütlich über ein Landser-Heftchen hermachen wie andere über eines von Perry Rhodan. In ihrer ausgestellten Dummheit kommen sie in diesem rauen lauten Kammerspiel ohnehin fast bemitleidenswert daher. Dabei gewährt der Abend ihnen einige wenige komische Momente, die Hitler-Parodie, die den tausenden Parodien zuvor nichts Neues hinzuzusetzen vermag, gehört nicht dazu.

Die schlichte Sehnsucht, aus der der Hass sich speist

Über den NSU lernen wir in Frankfurt nichts hinzu, erfahren aber doch etwas über die schlichte Sehnsucht, aus der sich Hass speisen kann. Seine volle Wirkmacht entfaltet der Abend dann erst mit seinem Ende, der das Ganze als Hirngespinst und wirre Erinnerung Janines entlarvt. Dann steht Ines Schiller plötzlich im Beate-Zschäpe-Look an der Rampe und traktiert das Publikum mit fürchterlichen Blicken. Und auf einmal ist man richtiggehend froh, dass diese Frau nichts sagt. SHIRIN SOJITRAWALLA