Filme hören mit dem Maestro

KONZERT Ennio Morricone präsentiert in der O2 World sein filmmusikalisches Lebenswerk

Morricone kennt allemal die Mittelchen, um einen im Kino in Stimmung zu bringen

Das dauerte schon mal seine Zeit, lange Minuten, bis endlich alle Musiker ihre Plätze eingenommen hatten. Zuerst schlängelten sich die 75 Sänger des Kodály Chors auf die Bühne, dann das Modern Art Orchestra aus Ungarn. 85 Mitglieder stark. Ein gewaltiger Apparat. Fehlte schließlich nur noch vorn am Pult der Maestro selbst am Dienstagabend in der ausverkauften O2 World: Ennio Morricone, der aber erst mal in einer Videobotschaft sich und sein Schaffen erläuterte, in einer tatsächlich soliden Zusammenfassung des in die verschiedensten Richtungen wildernden und gewaltigen Oeuvres des Komponisten.

Der hat ja auch Schlager geschrieben für die italienischen Hitparaden und ein keinesfalls schmales Werk mit avantgardistischer Musik, an die man durchaus mal bei einem dieser Festivals für Neue Musik erinnern könnte. Und der Musiker Morricone, radikal klangforschend mit dem Gruppo di Improvvisazione die Nuova Consonanza. Alle da und dort gesammelten Erfahrungen kommen zusammen in seinen Filmmusiken.

Mehr als 500 hat er bisher geschrieben. Ein gewaltiger Output, bei dem dann die Auswahl einigermaßen schwer fällt für einen Filmmusikabend, und der sollte es doch sein in der O2 World – auf den die Bühne flankierenden Videoleinwänden annonciert als „Ennio Morricone My Life In Music“.

An seinem Dirigentenpult ordnete das der inzwischen 85-Jährige in Medleys. Im ersten stellte er seine prinzipiellen musikalischen Arbeitsweisen vor, beginnend mit dem Thema aus „Die Unbestechlichen“ – das agitiert Rhythmische –, und nacheinander mit Motiven aus „Es war einmal in Amerika“ das forciert Sentimentale und endlich das verhalten Erhabene. Morricone kennt allemal die passenden Mittelchen, um einen im Kino auch wirklich in die richtigen Stimmungen zu bringen für den Film.

Agitationsmusiken fürs Gemüt, sie funktionieren auch ohne Kino. Selbst wenn man die dazugehörenden Filme gar nicht gesehen hat, sieht man es trotzdem: das Schnauben der Pferde, die weiten Landschaften, Liebeswehen oder die seltsamen Händel der Sizilianer. Wobei man sich hier im Konzert mit dem lasziven Swing von „Der Clan der Sizilianer“ schon auch kurz fragte, ob den nicht eine Barcombo genauso zwingend hinbekommen hätte und ob man das Großaufgebot auf der Bühne wirklich brauchte. Allein schon der Chor. Musste lange warten, bis er nach einer halben Stunde erstmals zum Einsatz kam. Und dann halt für diesen speziellen Morricone-Touch sorgte, ein Taumel aus Inbrunst, die delirierenden Schreie im Singen, wo Trash, Kitsch und veredelte Kunst zum Gospel zusammenkommen. Die großen Gefühle.

Erste Standing Ovations im Saal schließlich bei den Spaghettiwesternmusiken. Die Koyotenmelodie aus „Zwei glorreiche Halunken“, das Titelthema von „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ein bunter Strauß an beliebten Melodien. Wobei gerade diese Sammlung an Hits mit den einschlägigen Themen das Schaffen des Meisters eher verschattete – weil damit eben unterschlagen wurde, dass Morricone seine Soundtracks, hört man sie sich komplett an, doch komplexer und mit einer Fülle an musikalischen Argumenten angelegt hat. Einerseits. Und anderseits halt immer wieder großartige Musik. Zur „Schlacht um Algier“ etwa. Voranpeitschend. Zerquält. Als hätte Hanns Eisler daran mitgeschrieben.

Insgesamt ein schön gediegener Abend mit mehr als zwei Stunden Bildermusik. Meckern mag man höchstens, dass sich auf der Bühne nicht doch noch ein Plätzchen für einen Mundharmonikaspieler gefunden hat. Das wehklagende „Lied vom Tod“, das Lied für Charles Bronson – es wurde an diesem Abend nicht gespielt. THOMAS MAUCH