Großes Patchwork

ZWEITFRAUEN Familienstrukturen im postkolonialen Sambia – Ellen Banda-Aakus einfühlsamer Debütroman „Patchwork“

„Sie hatten sich über Tata lustig gemacht; dafür mussten sie büßen“

VON CARLA BAUM

Der Satz „Wir sind eine Patchworkfamilie“ ist keiner, für den man heute noch schräg angeschaut wird. Er klingt nach modernen Familienmodellen, Kindern mit mehreren Papas und Mamas, Geschwistern und Halbgeschwistern, die Zimmer und Spielzeug teilen und gemeinsame Ausflüge unternehmen. Wie aber darf man sich eine Patchworkfamilie im Sambia der 1970er Jahre vorstellen? Hhm. Die Lebenswelt der Protagonistin mit dem Spitznamen „Pumpkin“ aus Ellen Banda-Aakus Roman hat jedenfalls wenig mit entspanntem Miteinander oder gemeinsam verbrachten Osterferien zu tun.

Als Kind versteckt sich Pumpkin vor ihren Freundinnen, damit die nicht sehen, dass sie mit klirrenden Tüten voller Bier und Hochprozentigem für ihre Mutter nach Hause läuft. Ihren Vater, den sie nur „Tata“ nennt, sieht sie selten. Er ist ein angesehener Geschäftsmann und Politiker, die Affäre mit der jungen Mutter war eine von vielen.

Einmal fährt er im Auto an Pumpkin vorbei und grüßt sie nicht. Noch als Erwachsene erinnert sie sich daran: „Er dreht sich nicht zu mir. Er hält nicht für mich an. Tata hat sich nicht für mich entschieden.“

Die Autorin Banda-Aaku ist selbst in Sambias Hauptstadt Lusaka aufgewachsen. Sie kannte als junges Mädchen Kinder von „mistresses“ – Zweitfrauen, die einen dunklen Fleck in der Karriere erfolgreicher Männer darstellen und mit Geld abgespeist werden. „Ich habe mich immer gefragt, wie es sich wohl anfühlt, einen Teilzeitvater zu haben, der noch eine andere Familie hat,“ sagt Banda-Aaku zur Idee ihres Debütromans.

Ihre Protagonistin erlebt die ganze Zerrissenheit, die eine solche Situation mit sich bringt. Banda-Aaku verzichtet in ihren Darstellungen dabei weitgehend auf poetische Verzierungen oder Metaphern. Sie versucht sprachlich nahe an Alltag und Gefühlswelt ihrer Protagonistin Pumpkin anzuschließen. Banda-Aaku, die vor „Patchwork“ vor allem Kinderbücher geschrieben hat, beweist hier viel Einfühlungsvermögen in die subjektive, kindliche Wahrnehmung ihrer Hauptfigur, auch wenn die ein oder andere Szene Präzision vermissen lässt.

Einmal, als der Vater doch zu Besuch kommt, ist Pumpkins Mutter so betrunken, dass er die Tochter in seine Erstfamilie mitnimmt. Tyrannisiert von ihrer Stiefmutter „Mama T“, gemieden von ihren Halbbrüdern, lebt sie fortan in einem großen weißen Haus mitten im Nirgendwo. Und auch hier schaut ihr Tata nur selten vorbei.

Ihre Traurigkeit wandelt Pumpkin in Grausamkeit um. Sie klaut ihrer Stiefmutter einen Ring und spuckt ihr ins Glas. Sie lügt und lässt kaltblütig einen Farmarbeiter mitsamt Familie feuern: „Sie hatten sich über Tata lustig gemacht; dafür mussten sie büßen.“ Einzig zum Hausmädchen Sissy fasst Pumpkin Vertrauen. Sie ist es auch, die „Patchwork“ eine weitere Bedeutung gibt. Sissy meint, ein Patchwork entstehe, wenn man denselben Fehler immer wieder mache und ihn nur notdürftig ausbessere: „Und was ergibt das dann? Ein großes, chaotisches Patchwork, das jedem sofort ins Auge springt. Ist es das, was du willst?“

Pumpkin schüttelt energisch den Kopf. Doch schafft sie es auch nicht als erwachsene Frau und Mutter, die sie im zweiten Teil des Romans ist, ihre Fehler zu reflektieren. In der ersten Begegnung des Lesers mit ihrem erwachsenen Ich prügelt sie mitten in der Stadt auf eine junge Frau ein, weil sie sie aus dem Auto ihres Ehemanns steigen sah.

Der geschickten Mischung aus der subjektiven Gefühlswelt der Protagonistin, den Familienbeziehungen und politischen Geschehnissen im postkolonialen Sambia ist es zu verdanken, dass „Patchwork“ nicht eine psychologisierte Entwicklungsgeschichte bleibt, die einzig um die Verarbeitung einer schwierigen Kindheit kreist.

Die Unabhängigkeitskriege zwischen Nordrhodesien (Sambia), Südrhodesien (Simbabwe) und Großbritannien in den 1970er Jahren spielen ebenso eine Rolle wie die Ausflüge der erwachsenen Pumpkin und ihrer Mutter zu Heilern, die nach eigenen Angaben alle Krankheiten sowie Liebes- und Geldprobleme heilen können.

Viele Szenen lesen sich als Innenansichten familiärer Strukturen, lassen sich aber auf einer abstrakteren Ebene auch als Aushandlung von Gender- und Generationskonflikten einer Gesellschaft im südlichen Afrika begreifen. Diese Vielschichtigkeit lässt den gelegentlichen Mangel an inhaltlicher und sprachlicher Genauigkeit verzeihen.

Ellen Banda-Aaku: „Patchwork“. Deutsch von Indra Wussow. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2014, 213 Seiten, 24,80 Euro