Die Dämonen, die sie rief

KONZERT Eigentlich wollte Anna Calvi in der Kulturbrauerei nur von verlorener Liebe singen, am Ende war das ganze Publikum verliebt

Spielt eine Frau in einer Band, ist das in der männerdominierten Musikbranche schon mal echt gut. Wenn es sich bei ihr um vielleicht die beste Rockgitarristin der Gegenwart handelt, mit einer Stimme, die einen schwindeln lässt, dann ist man auf einem seltenen Konzert, so viel steht fest. Anna Calvi. Ein Name wie eine Filmikone, ihre Musik wie ein schweres Eau de Parfum, die Stimme irgendwo zwischen Maria Callas, Edith Piaf und PJ Harvey. Am Mittwoch war sie mit ihrer Band zu Gast im Kesselhaus der Kulturbrauerei.

Spätestens bei einem Cover des schwülstigen „Surrender“ von Elvis Presley hat die 34-jährige Britin einen Bannkreis um sich und ihr Publikum gezogen. Wer sich darin befindet, ist dieser Frau ausgeliefert. Das Publikum ist still für ein Rockkonzert. Nichts will man verpassen, keine Textzeile, keines ihrer ausgefeilten Gitarrensoli. Und so fällt es niemandem ein, irgendwo frenetisch dazwischenzubrüllen. Nur zwischen den Songs wird geklatscht und gerufen. Anna Calvi dankt es mit einer geradezu lustig anmutenden Schüchternheit, mehr als ein leises „Thank you so much“ will ihr während des gesamten Konzerts nicht über die Lippen. Was niedlich anzusehen ist, hat sie doch gerade mit ihrer Präsenz auf der Bühne alle mit einem Bannspruch belegt.

Ganz bei sich zu sein scheint Calvi in einem Soli, beim Intro von „Rider on the see“, einem sirrenden Alleingang der Gitarre. Sie legt den Kopf in den Nacken, schließt die Augen, ihre Finger fegen über die Seiten. Eine Frau und ihre Gitarre. Im Publikum steigt der Testosteronspiegel merklich.

In anderen Soli improvisieren sie und ihre Band, so in „Eliza“ vom zweiten Album oder in „Piece by Piece“. Ungeachtet ihrer hohen Schuhe und schicken Garderobe lässt sich Calvi dann auch zu ein paar klassischen Rockposen hinreisen und sogar mit den anmutigen Locken wird ein bisschen gebangt.

Und dann diese Stimme. Damit weckt Calvi Dämonen, droht ihnen, heult, wispert und betört sie mit einem Vibrato tief aus der Mitte ihres Körpers. Live ist sie noch besser, als auf den beiden Platten, experimentiert mehr, entfernt sich von der klassischen Songstruktur und variiert die Stimmlagen.

Calvi scheint sich wenig um aktuelle Trends in der Musikszene zu scheren, ihre Gitarre, ihr Gesang, das indische Harmonium, die Marimbas, der dunkle Bass ihrer Band, alles scheint aus der Zeit gefallen zu sein. Sie bekennt sich zu Musikern wie Jimi Hendrix, Django Reinhard oder Claude Debussy, Brian Eno ist ihr Mentor. Der Wind weht aus den 60er Jahren und manchmal trägt ihr Gesang regelrecht sakrale Züge. Ihre Songs handeln von Liebe, vor allem von unerfüllter.

Ihr zweites, im Herbst erschienenes Album „One Breath“ ist noch persönlicher geraten als das erste, Calvi hat es in der mexikanischen Wüste aufgenommen, sechs Wochen lang, allein in einem Motelzimmer sitzend. Es handelt von Depressionen, von schweren Entscheidungen und wieder von Liebe in all ihren schönen und zerstörerischen Facetten.

Wenn Anna Calvi auf der Bühne steht, kann man sich das alles gut vorstellen: Die Einsamkeit in der Wüste, die Verzweiflung über eine vergangene Liebe, das schlechte Gewissen wegen der eigenen Fehler. In „One Breath“ singt sie: „I got one breath to give / I got one second to live / before I say / what I’ve got to say / before I break it’s gonna change everything.“

Nach drei Zugaben will das Publikum im brodelnden Kesselhaus immer noch mehr. „What should I play?“, fragt Anna. Ein Lullaby soll es sein. „Shush“ singt sie, „No more words“ und entlässt ihre verliebten Zuhörer und Zuhörerinnen aus ihrem Bannkreis. Die wären sicher gerne noch ein Weilchen geblieben.

ANNE-SOPHIE BALZER