Die Macherinnen der Revolte

AUSSTELLUNG Raus aus der Anonymität – im Willy-Brandt-Haus werden unter dem Titel „Die Frauen der APO – die weibliche Seite von 68“ Fotoporträts gezeigt

Däubler-Gmelin, Dutschke-Klotz, Thürmer-Rohr. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass die mal unsichtbar waren, so präsent, wie sie da auf dem Podium im Willy-Brandt-Haus sitzen bei einer Diskussion vergangene Woche zur Eröffnung der Ausstellung „Die Frauen der APO – die weibliche Seite von 68“. „Wir waren zu beschäftigt, um uns nach vorne zu spielen“, sagt die eine. Die andere erzählt von der Schwierigkeit, „überhaupt erst mal das Thema als Frau zu finden“. Um Fotoporträts geht es, die die Fotografin Ruth E. Westerwelle zwischen 1991 und jetzt gemacht hat und mit denen sie ebenjenen Frauen der 68er-Bewegung die Aufmerksamkeit zuteil kommen lässt, die immer dabei waren, mitdemonstriert, -randaliert, -diskutiert, sich solidarisiert haben, deren Namen man aber trotzdem nicht unbedingt kennt.

Die drei Doppelnamendamen, allein deswegen schon populärer, kennt man schon: Herta Däubler-Gmelin, Jahrgang 43, Sozi, Exjustizministerin, schwäbelte sich in den Bundestag und wieder hinaus. Gretchen Dutschke-Klotz, Jahrgang 42, war mit Rudi verheiratet und hat in einer aufschlussreichen Biografie genau analysiert, wie ihr Mann das mit dem Nebenwiderspruch und dem Hauptwiderspruch sah. Christina Thürmer-Rohr, Jahrgang 36, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych., Autorin, Forscherin, schreibt, redet und musiziert unter einem schicken zweifarbigen Haarschopf.

Fürs kollektive Gedächtnis

Viele der anderen, die Ruth E. Westerwelle zuerst zusammengesucht und dann besucht hat, sind auf den landläufigen, ikonografischen Bildern jedoch kaum vorhanden. Denn im kollektiven Gedächtnis heißen die 68er Dutschke, Langhans, Kunzelmann oder Teufel – und sind trotz langer Haare eindeutig männlich. Sie sind Macher und Macker der Revolte, ihre Aussprüche und Aktionen blieben bestehen. Die Frauen auf den Fotos dagegen blieben größtenteils anonym: Mal marschiert eine in der ersten Reihe mit, mal sieht man hinten beim verqualmten Studitreffen eine sitzen, und auf einem der berühmtesten aller Kommunenfotos zeigt mit Uschi Obermaier eine ihren Hintern, die bekanntlich nicht für Politik oder Feminismus, sondern als „Deutschlands schönste/nackteste Kommunardin“ in die Boulevardannalen einging.

Aber es gibt noch andere Hintern auf diesem Kommune-1-Wandbild. Einer gehörte Dagmar Przytulla, damals Seehuber. Für ihr Porträtprojekt hat Westerwelle auch sie gefunden. Nun hängt neben ihrem Porträt ein Text Przytullas, in dem sie die Aussage eines Polizisten nach einer politisch motivierten Festnahme in den 60ern zitiert: „Die Frauen können wieder gehen, sie sind nur die Anhängsel der Männer und nicht schuldfähig …“ Mit einem ähnlich entwaffnenden O-Ton lässt die Fotografin die Autorin Inga Buhlmann zu Wort kommen: „Die Frauen im SDS Frankfurt am Main sollten schön wie ein Reklamebild sein, auch intellektuell auf der Höhe, damit sie ‚mitreden‘ können.“

Die Filmemacherin Helke Sander hat Westerwelle besucht, die Gesundheitspolitikerin Annette Siepmann, die einst volle Windeln in der Stern-Redaktion verschmierte, die Kinderladengründerin Elke Regehr, das ehemalige RAF-Mitglied Inge Viett, Beate Klarsfeld, Friederike Dollinger, die dem sterbenden Benno Ohnesorg den Kopf hielt, und die Autorin und Übersetzerin Renate Chotjewitz-Häfner, die in der Ausstellung mit der Aussage zitiert wird: „Vieles in der Bewegung war verlogen. Es herrschten ähnliche Verhältnisse wie in meiner Ehe.“

Mit manchen Porträts ihrer Serie holt Westerwelle dazu den politischen Aktivismus aus den westdeutschen Großstädten heraus und verortet ihn auch in der DDR, beispielsweise mit dem Porträt der aus Königs Wusterhausen stammenden Schriftstellerin Brigitte Martin, die damals in Ostberlin mit einem Kinderwagen herumlief, auf dem „Freiheit für Dubcek“ stand.

So ergibt sich in der Ausstellung aus kleinen, aus verschiedenen Quellen wie der Landesbildstelle oder von anderen Fotografen stammenden Bildern der Frauen in Aktion, kurzen Biografien und Zitaten sowie Westerwelles großformatigen, wohlwollenden und liebevollen aktuellen Schwarz-Weiß-Porträts der „Frauen der APO“ ein großes Zeitgemälde politischer Aktivistinnen, die sogar nachhaltiger an ihren Überzeugungen festzuhalten scheinen als ihre männlichen Mitstreiter. Fast sämtliche in der Ausstellung porträtierten Frauen sind auf die eine oder andere Weise noch aktiv.

JENNI ZYLKA

■ „Die Frauen der APO“: Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, bis 6. April, Di.–So. 12–18 Uhr. Ausweis erforderlich