Virtuose Recherche im Gorki-Theater : Die Kinder von Ex-Jugoslawien

Mit „Common Ground“ beschert die Regisseurin Yael Ronen dem Maxim Gorki Theater Berlin ein tolles Stück über das Brennen der Geschichte.

Virtuos gespielt und gut recherchiert: „Common Ground“ im Gorki-Theater Berlin. Bild: Thomas Aurin

Jasmina Music springt vor Freude in die Luft, Vernesa Berbo kämpft mit den Tränen beim Schlussapplaus von „Common Ground“. Was beide Schauspielerinnen auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters in Berlin in den letzten anderthalb Stunden durchlebt haben, ist auch durch die Seelen der Zuschauer unten im Parkett gezogen. Selten nur teilt man im Theater die emotionale Arbeit der Schauspieler so bereitwillig wie bei dieser Erzählung über eine Reise nach Bosnien, auf den Spuren der Kriege, die Jugoslawien zerlegt haben.

Was sie zu erzählen haben, wiegt schwer; man hört von Kriegen, von Massakern, von Vergewaltigungen und Morden; von Mädchen, die ohne Vater und ohne Erklärung, warum sie ständig auf der Flucht sein mussten, aufgewachsen sind. Das alles aber an sich heranzulassen, das Brennen und den Schmerz zu spüren, den jede Berührung mit dieser Geschichte, die keine Vergangenheit werden will, hervorruft – das alles fällt leicht in der Inszenierung der Regisseurin Yael Ronen und ihrer sieben Schauspieler.

Es fällt leicht, weil dies einfach auch ausgezeichnetes Theater ist, in dem das Historische und das Biographische, der skeptische Blick auf die allgemeinen Sprachregelungen im Umgang mit der Geschichte auf der einen Seite und die Öffnung zu den versteckten Gefühlen der Performer auf der anderen ausbalanciert werden wie in die Luft geworfene Bälle.

Die eigene Geschichte

Was jeder erzählt, ist dabei seine eigene Geschichte. Fünf der sieben Schauspieler sind in Ex-Jugoslawien geboren, in Belgrad, Zagreb, Priboj, Banja Luka, Novi Sad. Zwei kommen aus Bremen und Jerusalem, in Deutschland leben sie inzwischen alle.

Sie stellen sich vor im ersten Teil des Stücks, ein chronologischer Galopp durch die Jahre 1991 – 1995, als die meisten von ihnen noch Kinder oder Jugendliche waren. Aber schon als Kinder mussten Aleksandar Radenkovic, Jasmina Music, Mateja Meded und Dejan Bucin lernen, dass Identität keine selbstverständliche Größe ist, und sich zu verstellen manchmal lebensrettend. Was sie an Gefühlen von Scham, Schuld, Verzweiflung oder Wut mit sich herumtragen, hat fast immer weit außerhalb ihrer eigenen Leben angefangen.

Am Anfang rasen sie durch die Geschichte, ihre Sätze hastig und atemlos ins Mikro gesprochen. Daten von Katastrophen und Kriegen werden heruntererzählt neben den gedrängten Rückblicken auf die eigene Erinnerung. Wer nicht spricht, unterstützt den Redenden gestisch und mimisch, skizziert das Erzählte in Windeseile – das ist in der Darstellung und in den sprachlichen Wendungen oft von einem Witz, der dem Verstehen auf die Sprünge hilft.

Im zweiten Teil, der von ihrer gemeinsamen Reise nach Bosnien erzählt, verlangsamt sich das Tempo, das Nicht-reden-können oder Nicht-reden-wollen, Erschrecken und Angst nehmen zwischen den Schauspielern Platz. Man erlebt auch das als Zuschauer körperlich, wie sich um jeden der eben noch wild durcheinander wuselnden Frauen und Männer nun ein Abstand ausbreitet.

Die Reisegruppe

Niels Borman, der sich als schwuler Anarchist aus Bremen, und Orit Nahmias, die sich als Konflikttherapeutin aus Jerusalem vorstellt, gehören mit zu der Reisegruppe. Ihre Kommentare spiegeln den Blick von außen auf den Balkan, angefangen von Klischees über Narrative, die sich in den Medien ausgebildet haben, bis zur Erleichterung, dass im Schuldgefüge der Balkankriege Deutschland und Israel keine besondere Rolle gespielt haben.

So verkörpern sie einerseits den Zuschauer, der vor Fassungslosigkeit über die Grausamkeiten des Krieges den Kopf schüttelt; andererseits aber schaffen sie gerade durch ihre abseitigen Fantasien, ihre Fragen als Unwissende oder mit ihren plötzlichen Anfällen von Versessenheit auf Details und Fakten auch immer wieder einen Ausweg aus den Momenten der Bedrückung.

Yael Ronen, die aus Israel kommt und in Berlin zuvor an der Schaubühne inszeniert hat, ist seit dieser Spielzeit Hausregisseurin am Gorki-Theater. Dort ist ihr schon die Inszenierung von „Der Russe ist einer der Birken liebt“ nach dem Roman von Olga Grjasnowa gut gelungen. „Common Ground“ hat sie mit den Schauspielern entwickelt, der Text beruht auf deren Bereitschaft, einen Teil ihres Lebens zu Theater werden zu lassen. So kommt tatsächlich etwas zustande, das für dieses Haus und für das Theater überhaupt eine kluge Bereicherung ist.

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