DAUMENKINO
: Molière auf dem Fahrrad

Natürlich sagt Serge erst mal Nein. Zur Schauspielerei, zu Molière, zur Nebenrolle

Der deutsche Titel ist nicht ganz ehrlich. Im französischen Original setzt Philippe Le Guay die Hauptfigur des „Menschenfeinds“, Alceste, aufs Fahrrad, und nicht den Stückautor Molière. Es ist ein Unterschied, der zählt, denn das zentrale Thema ist eben nicht die französische Theaterlegende, sondern das, was den „Menschenfeind“ so umtreibt: die Ehrlichkeit und die Frage, wie viel davon jede Freundschaft verträgt. Nun kann man kulturpessimistisch betrauern, dass dem Kinopublikum hierzulande keine Vertrautheit mit französischen Klassikern mehr zugetraut wird – wahrscheinlich keine ganz falsche Einschätzung –, andererseits sei hervorgehoben, dass man Molière gar nicht gelesen haben muss, um diesen Film schätzen und auskosten zu können.

Die Prämisse ist einfach: Der erfolgreiche Schauspieler Gauthier (Lambert Wilson), ein Mann in seinen besten Jahren, fährt zur Île de Ré, um dort unangekündigt bei seinem alten Berufskollegen Serge (Fabrice Luchini) vorbeizuschauen. Serge hat auf der beliebten Atlantikinsel ein altes Haus geerbt und sich seit seinem Abschied von der Schauspielerei dorthin zurückgezogen. Gauthier will ihn zu einem Comeback überreden – auf der Theaterbühne, in einer Nebenrolle an seiner Seite in Molières besagtem „Menschenfeind“. Natürlich sagt Serge erst mal Nein. Zunächst zur Rückkehr zur Schauspielerei überhaupt. Dann zu Molière. Und schließlich dazu, die Nebenrolle zu spielen. Er nötigt Gauthier, der noch am selben Abend nach Paris zurückwollte, eine Woche auf der Insel zu bleiben und gemeinsam zu proben. Erst dann werde er sich entscheiden.

Und nein, es ist einmal nicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Die ersten Tage sieht es so aus, als wolle sich Serge mit kleinen Machtspielen an seinem erfolgreicheren und besser aussehenden Kollegen rächen. Er hält ihn hin, verhöhnt ihn zurückhaltend gekonnt wegen seiner TV-Serien-Karriere und setzt ihn wegen mangelnder Klassikerbildung herab. Aber Gauthier eignet sich nicht zum Opfer: So gehemmt er in der eigenen Eitelkeit wirkt, so raffiniert und ruchlos versteht er zu agieren. Im Kleinmachen des Gegenübers durch großes Lob und der verdeckten Manipulation durch offenherzige Eingeständnisse erweist er sich als schwer zu übertreffen.

Es tauchen ein paar Frauen am Rande auf, aber in seinem Herzen ist „Molière auf dem Fahrrad“ ein Männerdrama von seltener Ehrlichkeit: Die Spur der Lügen, die menschliche Beziehungen so ausmachen, wird auf rare Weise sanft und doch einleuchtend brutal aufgeschlüsselt. Außerdem hat man am Ende einen sehr guten Begriff davon, worum es im „Menschenfeind“ wirklich geht. BARBARA SCHWEIZERHOF

■ „Molière auf dem Fahrrad“. Regie: Philippe Le Guay. Mit Fabrice Luchini, Lambert Wilson u. a. Frankreich 2013, 104 Min.