ZWISCHEN DEN RILLEN
: Minimalismus, Melancholie

Sohn: „Tremors“ (4AD/Beggars/Indigo)

One more Ödipus: „Wenn ich keine Musik machen würde, würde ich wahrscheinlich zum Mörder werden“, sagt Sohn und lacht. Die Instrumente, sein Laptop und seine Stimme, ersetzen dem britischen Tonkünstler, der in Wien lebt, die Psychoanalyse. Sohn, das ist der, der danach kommt. So wie der Sohn nach dem Vater kommt, kommen die „Tremors“, so heißt sein Debütalbum, nach dem eigentlichen Ereignis. Es geht um den aftershock, das Zittern, das Nachbeben, den Moment der Melancholie, der einen überkommt, wenn alles vorbei ist.

Die Musik von Sohn ist demnach nicht für die Nächte und Tage im Club geeignet, sondern vielmehr für die Stunden der Dämmerung, der Derangiertheit nach dem Zuviel. Er sei eben ein Melancholiker, sagt Sohn. „Ich höre zumeist sogenannte traurige Musik. Fröhliche und aufmunternde Songs bewegen mich einfach nicht.“ Wenig verwunderlich, dass Sohn ein zurückhaltender Typ ist. Er spricht leise, fast nuschelnd. Über seine musikalische Vergangenheit, die in London begann, schweigt er.

Die Geschichte seines Alter Egos Sohn nahm ihren Anfang im Netz. Dort schaffte er es durch demonstrative Abwesenheit und dezente Dosierung seiner musikalischen Kostproben, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Inzwischen funktioniert die Hype-Maschine umso besser, je geheimnisvoller es zugeht. Was daran liegen mag, dass der von vielen als Zwang empfundene Imperativ zur Selbstpräsentation in sozialen Medien durch die Zurückhaltung bis zu einem gewissen Grad unterlaufen wird. Spex erhob Sohn daraufhin scherzhaft zum „Blog-Barden“. Vom digitalen Bardentum allein kann ein Künstler jedoch nicht leben, weswegen auf die Appetithäppchen im Internet jetzt das Album folgt.

Es fügt sich in ein anderes Nachher: Sohn kommt mit „Tremors“ nach der Progressive-R-’n’-B-Postdubstep-Welle, die vor drei Jahren von Musikern wie James Blake und Jamie Woon ausgelöst wurde. Ihr Sound, eine Mischung aus UK-Bass und expressiven, R&B-artigem Gesang, liegt auch den elf Songs von „Tremors“ zugrunde.

Diese sind sehr eingängig. Selten gestattet sich Sohn ein längeres Dahinpluckern der elektronischen Geräte – sein Album ist ein Popprodukt aus Drum-Machines und Synthiehooklines. Die Texte dazu klingen simpel: „Oh Lord / Let me do right“, singt Sohn in bester R-’n’-B-Tradition in „Tempest“, dem Auftakt des Albums. Viel komplexer wird es nicht, immerhin weniger religiös. Was man jedoch an den Texten bemängeln könnte, macht musikalisch die Stärke des Albums aus: die Einfachheit. Müsste man „Tremors“ mit zwei Wörtern beschreiben, wären das Minimalismus und Melancholie.

In letzter Sekunde

Die Einfachheit musste Sohn erst lernen: „Ich habe lange an den Songs gebastelt, mich immer mehr verkünstelt. Das Tempo erhöht, die Tonart verändert.“ Seine frühen Fans hätten ihn dann aber mit ihren Bewertungen zur Einsicht gebracht. Man merkt „Tremors“ an, dass es in seiner Kombination von Soul-Gesang, Sprachfetzen und Bass das Produkt eines Reduktionsprozesses ist. Dabei half Sohn, dass es schnell gehen musste. Der Kompositionsprozess für das Album fiel zwischen eine Tour und Auftragsarbeiten für andere Musiker. Einige Monate Zeit, dann eine Deadline, die er gerade so einhielt: „Ich habe das Album in letzter Sekunde abgegeben.“

Mit „Tremors“ tritt Sohn nun vor eine Öffentlichkeit, die er zunächst scheute. Feedback sei ihm zwar wichtig, aber Star sein – auf keinen Fall, sagt er. Lieber eine treue Fangemeinde, die an seiner Arbeit und seiner Entwicklung teilhat.

„Tremors“ hat das Potenzial zum Konsensalbum, aber auch wenn es schlecht läuft kann Sohn noch Geheimtipp hinter Blake und Co bleiben. Zweiteres würde ihm ermöglichen, Sohn zu bleiben und nicht irgendwann doch noch Ödipus zu werden.

ELIAS KREUZMAIR