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: Arbeit im lyrischen Modus

„The Garden of Words“. Regie: Makoto Shinkai, Japan 2013, ab ca. 30 Euro erhältlich

Der Animationsfilm, als Kunst betrachtet, ist in Japan so reich an Formen und Stimmen wie nirgendwo sonst. Altmeister Hayao Miyazaki hat im vergangenen Jahr mit „The Wind Rises“ seinen wohl letzten Film produziert, das historisch problematische, inszenatorisch aber grandiose Porträt des im faschistischen Japan tätigen Flugzeugingenieurs Jiro Horikoshi. (Ein Deutschlandstart derzeit leider nicht in Sicht.) Der 1967 geborene Mamoru Hosoda hat mit „Ame und Yuki“ (vgl. taz vom 22. 8. 2013) bewiesen, dass er da anknüpfen kann, wo Miyazaki aus Altersgründen aufhören muss. Und auch der stets idiosynkratische „Ghost in the Shell“-Regisseur Mamoru Oshii kehrt 2014 mit gleich zwei Filmen ins Science-Fiction-Genre zurück.

Unter den jüngeren Anime-Regisseuren hat sich in den letzten Jahren vor allem der 1973 geborene Makoto Shinkai einen Namen gemacht. Er hat mit Videospielen angefangen, arbeitet auch als Werbefilmer und Zeichner für Visual Novels, hat aber mit seinen seit 2001 entstandenen Filmen einen sehr distinkten eigenen Stil entwickelt. Im Vergleich mit Miyazaki oder Hosoda arbeitet er im kleineren Maßstab, lyrisch eher als episch. Mit „Reise nach Agartha“ hat er erst einen einzigen normallangen Spielfilm gemacht, die anderen Arbeiten sind kürzer oder aus kürzeren Filmen zusammengesetzt. So begnügt sich Shinkai auch in seinem jüngsten Werk mit der Länge von 45 Minuten, was ihn nicht daran hindert, „The Garden of Words“ als vollgültigen Spielfilm zu begreifen – als solcher war er auch in japanischen Kinos zu sehen.

Arbeit im lyrischen Modus heißt: Die Geschichte als solche ist auf den ersten Blick schlicht. Ein fünfzehnjähriger Junge begegnet morgens im Park einer zwölf Jahre älteren Frau. Beide sitzen im Regen unterm Schutz eines Pavillons auf der Bank, er schwänzt die Schule, sie isst Schokolade und trinkt Bier, und an den Regentagen des Juni treffen sie sich wieder und wieder. Er träumt davon, Schuhmacher zu werden, zeichnet Entwürfe. Sie ist aus der Bahn geworfen, zurückhaltend, erst nach und nach wird deutlicher, was mit ihr los ist. Sie ist für ihn eine Abgesandte aus der Erwachsenenwelt, er für sie Erinnerung an ein früheres Selbst, Außenseiter sind sie beide.

Statt Melodram und Entwicklung bietet „The Garden of Words“ Stimmungsmalerei, Pausen, Bilder von Regen, Stadt und Natur. Der Film ist dicht und pointiert im oft hinreißenden visuellen Detail, aber elliptisch in der narrativen Struktur, die Shinkai manchmal zu schnellen Schnittsequenzen verdichtet. Häufiger aber setzt er Einzelmomente in Szene: das Glitzern der Tropfen, fliegende Wolken, die vorüberrasende Hochbahn, die auftauchende Sonne, aber auch das Rieseln der Kreide bei der Tafelbeschriftung – eine manchmal geradezu peterhandkesche Versenkung in den Augenblick.

Die Geschichte bezieht ihre Motive aus einem Tanka (einer kurzen Gedichtform, aus der sich das Haiku entwickelt hat) aus dem Manyoshu, einer großen japanischen Gedichtanthologie aus dem 8. Jahrhundert: „Bleibst du hier, auch wenn der Regen nicht fällt und das Echo des Donners verstummt ist und die Wolken vom Himmel verschwunden sind?“ Shinkai nimmt das, als Naturgedicht, durchaus wörtlich, mit dem Regen und den Wolken, die in den Sommermonaten verschwinden. Er übersetzt es aber auch in eine Liebesgeschichte, in der vieles Andeutung bleibt. Wenngleich es nämlich auf die Frage des Tanka eine klare Antwort gibt, bleibt das Ende der Geschichte doch offen.

EKKEHARD KNÖRER