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: Tyrannisch wird’s, wenn ein Künstler im Spiel ist

„Ghashiram Kotwal“ (Indien 1977, Yukt Film), für ca. 17 Euro im Handel erhältlich (zum Beispiel via www.arsenal-berlin.de)

Mal übernahm der eine, mal der andere die Kamera. Ein Film wie aus einem Guss ist so nicht entstanden, aber das war auch nicht die Idee

Film ist eine arbeitsteilige Kunst. Es bedarf des Zusammenspiels unterschiedlicher Gewerke, von Kamera bis Kostüm, von Produktion bis Schnitt, von Darsteller bis Regie. Das heißt jedoch nicht, dass die Abläufe nicht streng hierarchisiert wären. Am wenigsten gilt das in der Regel noch da, wo das Produkt in Studiosystemen quasi industriell gefertigt wird. Auch da gibt es Kommandostrukturen, im Mittelpunkt aber steht das möglichst reibungslose und flotte Funktionieren. Tyrannisch wird es oft erst da, wo ein Künstler im Spiel ist. Autorenfilmer mit Vision sind nicht selten Narzissten mit wenig Sinn für den Input der andern, auch dann, wenn sie sich politisch noch so links gebärden.

Gelegentlich findet man Versuche, aus der Arbeitsteiligkeit wirklich kollektive Arbeit zu machen. Die Groupe Medvedkine gab nach 68 den Arbeitern die Kamera als Produktionsmittel in die Hand. Manche von Jacques Rivettes Filmen sind als Quasi-Improvisationen entstanden, bei denen die Einfälle aller zur Geltung kamen. Meist nur scheinbar kollektiv sind die sogenannten Omnibusfilme, bei denen zu diesem oder jenem Thema dann doch jeder sein Kurzfilm-Ding ohne Bezug zu den anderen macht – zuletzt misslang hierzulande bei „Deutschland 09“ der Versuch, an das Kollektivprojekt „Deutschland im Herbst“ anzuschließen.

Im freien Theater gibt es längst viele Gruppen, die als mehr oder minder gleichberechtigtes Ensemble funktionieren. Im Kino ist ein Projekt wie „Ghashiram Kotwal“ aus dem Jahr 1977 aber ein wirklich seltener Vogel. Dieser indische Film war gründlich vergessen, bis ihn das Berliner Arsenal wiederentdeckte. Dort schickte man vor ein paar Jahren unter dem Titel „Living Archive“ Künstler, Kuratoren und Filmschaffende in die eigenen Archive, in denen sich nicht zuletzt die Kopien der im Lauf der Jahrzehnte im Internationalen Forum des jungen Films gezeigten Werke befinden. Der damalige Forums- und Arsenal-Chef Ulrich Gregor hatte die Arbeit in Indien entdeckt und sogleich nach Berlin eingeladen.

Sechzehn junge Filmemacher (nur Männer) hatten sich in Pune zur Gruppe Yukt Film zusammengetan. Die meisten von ihnen hatten an der dortigen Film- und Fernsehhochschule studiert. Als Spiritus Rector gesellte sich der damals schon international berühmte indische Regisseur Mani Kaul zu ihnen. Sie beschlossen, ein avantgardistisches Theaterstück in einen avantgardistischen Film umzusetzen. Dass das als Kritik am Kommerzkino-Eskapismus zu verstehen ist, machen sie ganz zu Beginn explizit. Weniger deutlich sind – gerade von heute betrachtet – die Analogien, die sich vom historischen Stoff (es geht um einen Herrscher des 18. Jahrhunderts) auf die damals im Ausnahmezustand regierende Indira Gandhi beziehen.

In nur zehn Tagen wurde mit geringem Budget der Film abgedreht: mit einem Schauspielensemble von vierzig Personen, mit Tanz und Gesang und vielen durchaus aufwendig choreografierten Plansequenz-Szenen. Mal übernahm der eine, mal der andere die Kamera, Regie führten als Primi inter Pares Mani Kaul und K. Hariharan. Ein Film wie aus einem Guss ist so nicht entstanden, aber das war auch nicht die Idee. Der Einfluss des engagiert-rabiaten Brasilianers Glauber Rocha ist ebenso zu erkennen wie der des Ungarn Miklós Jancsó mit seinen von einer entfesselten Kamera festgehaltenen fluiden, sich formenden und wieder auflösenden Gruppen-Tableaus.

Es gibt Zwischentafeln, direkte Zuschaueradressen, das Ganze ist Film als episches Theater, mal fällt es auseinander, mal ist es ziemlich hypnotisch. „Ghashiram Kotwal“ ist ein Fund, der zeigt, was einmal möglich war, wenn auch nur für einen Moment: Die Beteiligten haben die kollektive Arbeit nicht fortgesetzt, nach diesem Ausnahmefilm hat jeder seine eigenen Wege verfolgt. EKKEHARD KNÖRER