Die Glühbirne pendelt, das Licht zeichnet

LICHT-BILDER Heinrich Heidersberger war ein Tüftler und Bastler, der sich mit dem eigentlichen Gegenstand der Fotografie, dem Licht, auseinandersetzte und bilderzeugende Apparate konstruierte. Zu sehen bei Petra Rietz

Diese Bilder passten in ihrer referenzlosen Abstraktion in eine westdeutsche Nachkriegsgesellschaft, die sich bemühte, an die von den Nazis unterdrückte Vorkriegsavantgarde anzuknüpfen

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

„Zeichnen ist die Kunst, Striche spazieren zu führen“, lautet ein berühmtes Zitat von Paul Klee. Heinrich Heidersberger hat Linien aus Licht mit Hilfe einer komplizierten, selbst gebauten Maschine spazieren geführt; Heidersbergers Bilder zeichneten sich fast wie von selbst. Die Bilder, die so entstanden, sind zurzeit in der Petra Rietz Salon Galerie in Berlin-Mitte zu sehen. Heidersberger nannte sie Rhythmogramme.

Der deutsche Fotograf, der 2006 kurz nach seinem hundertsten Geburtstag starb, ist vor allem für seine Architekturfotografie bekannt geworden. Ausgebildet als Maler – unter anderem um 1930 an der privaten Kunstschule von Ferdinand Léger in Paris – kam er durch Zufall zur Fotografie. Auf einem Pariser Flohmarkt erwarb er eine Kamera und begann zu fotografieren.

In der Nachkriegszeit erschienen seine Bilder unter anderem im Stern. In Wolfsburg, wohin er 1961 gezogen war, dokumentierte er die Entstehung einer aus dem Boden gestampften Stadt. Wolfsburg war zu dieser Zeit ein Experimentierfeld für die westdeutschen Nachkriegsarchitektur, die das funktionalistische Erbe des Bauhaus angetreten hatte. Offensichtlich beeinflusst vom fotografischen „Neuen Sehen der 20er Jahre“ hielt er die schnörkellos kubische Baukastenarchitektur der Industriestadt fest. Auftraggeber waren neben Volkswagen auch andere Unternehmen. Deren industriell gefertigte Produkte – wie Konservendosen oder Besteck – lichtete er in geometrischen, seriellen Kompositionen ab.

Dabei entstanden auch Fotogramme à la Man Ray und Moholy-Nagy. Denn Heidersberger war ein Tüftler und Bastler, der sich schon bei diesen Arbeiten immer wieder mit dem eigentlichen Gegenstand der Fotografie auseinandergesetzt hat: dem reinen Licht. Ab 1953 entwickelte er eine Rhythmograph genannte Maschine zur Generierung von kalligrafisch anmutenden Bildern. Ihre Urversion ist bei der Ausstellung als Rekonstruktion zu sehen: eine an zwei Schnüren aufgehängte kleine Glühbirne, die über einem Stück Fotopapier schwingt und abstrakte Muster malt, die nach der Entwicklung sichtbar werden. Schon um 1860 wurden Pendelschwingungen zum ersten Mal in grafischen Linien festgehalten – die sogenannten Lissajous’schen Figuren. Heidersberger entwickelte aus diesem Ansatz eine komplett analoge Medienkunst, die mit digitalen Mitteln kaum entstehen könnte.

In seinem Atelier im Schloss Wolfsburg baute Heidersberger zwei komplexere Versionen seines Rhythmographs: raumgreifende Apparate, die mit Pendeln und Relais einen Lichtpunkt in ornamentale Schwingungen versetzten. Die Ergebnisse, die in postkartengroßes Fotopapier eingebrannt wurden, solarisierte Heidersberger oder schaltete das bewegte Licht bei ihrer Entstehung kurz an und aus. So entstanden automatische, abstrakte Licht-Bilder aus harmonisch gewundenen Schnörkeln und Mustern.

Diese Bilder passten in ihrer referenzlosen Abstraktion in eine westdeutsche Nachkriegsgesellschaft, die sich bemühte, an die von den Nazis unterdrückte Vorkriegsavantgarde anzuknüpfen. Die „Wochenschau“ berichtete über seine neu entwickelte Technik. Das alte, geschwungene Logo des SWF war ebenfalls ein Werk Heidersbergers.

Subjektivität vermeiden

Es ist instruktiv, die eleganten und scheinbar zeitlosen Rhythogramme im Zusammenhang mit den abstrakten Filmen Hans Richters und den Fotos von Wols zu betrachten, die zurzeit im Martin-Gropius-Bau gezeigt werden. Trotz vergleichbarer Ausgangspunkte haben sie nichts von dem „Missbrauch von Heerestechnologie“, die die abstrakten Gemälde eines K. O. Götz – in Berlin zuletzt in der Neuen Nationalgalerie zu sehen – implizieren. Götz war von den Schlieren der Monitore, die er als Radartechniker zu beaufsichtigen hatte, zu seinem Malstil inspiriert worden. Doch im Gegensatz zu den diszipliniert-harmonischen Kompositionen Heidersbergers entwickelte Götz daraus eine höchst expressive Version informeller Malerei.

Heidersbergers Rhythmogramme kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie die generative Computerkunst der Stuttgarter Schule: Künstler wie Herbert W. Franke und Manfred Mohr programmierten Anfang der 70er Jahre generative Prozesse mit frühen Mainframe-Computern, um eine Kunst zu schaffen, deren Formbildung nicht aus der Subjektivität des Künstlers, sondern aus objektivierbaren Prozessen entstand. Das macht Heidersbergers Rhythmogramme ebenso zum Vorläufer der Conceptual Art wie zum Pionier einer Kunst, die das verwendete technische Medium in den Mittelpunkt rückt. In dieser Tradition schuf Nam June Paik mit Hilfe der manipulierten Kathodenstrahlröhre von schrottreifen Fernsehern Werke, in denen wie bei Heidersberger letztlich „spazierende Linien“ von maschinellen Prozessen ins Werk gesetzt wurden.

Sein Sohn Benjamin Heidersberger betrachtet seinen Vater darum als Medienkünstler ante litteram. Er erinnert sich an seinen Vater als harten Arbeiter, der morgens ins Atelier verschwand und abends spät zurückkam. Die bildproduzierenden Maschinen, die er dort entwickelte, nahmen ihm die kreative Arbeit eben nur teilweise ab.

■ Bis zum 5. Juli in der Petra Rietz Salon Galerie, Koppenplatz 11a, Berlin-Mitte