Gefühl der Unfassbarkeit

KUNST Eukalyptus auf Lack – der Schweizer Maler Adrian Schiess im Kunstzentrum FRAC in Marseille

„Formalistisch, dekorativ? Das sind alles falsche Fährten“

ADRIAN SCHIESS

Eine Ausstellung, die kein künstliches Licht gestattet, sodass der White Cube partiell ein nebulöses Schattendasein fristet, mag verwundern. Genau das fordert Adrian Schiess, dessen Werke nur unter den sich wandelnden natürlichen Lichtverhältnissen betrachtet und entdeckt werden sollen.

Die Architektur des 2013 neu eröffneten FRAC Provence-Alpes-Côte d’Azur spielt da wunderbar mit, hier hat der 1959 in Zürich geborene Künstler einen für seine große Werkschau äußerst geeigneten Ort gefunden. Der japanische Architekt Kengo Kuma hat ein Gebäude geschaffen, das den Außenraum einbezieht. Nicht nur die luftige Fassade aus Glaspaneelen öffnete sich dem urbanen Zentrum von Marseille, auch die Hauptausstellungsräume sind mit Fenstern versehen. So herrscht eher Licht als Schatten, auch wenn es im vorderen Bereich des ersten Raums schon mal etwas schattig sein kann. Hier fehlen lichtspendende Fenster, außerdem vermittelt das Grau der großformatigen Leinwände einen düsteren Eindruck. Doch unter den gedämpften Schlieren schimmerte es rosa und pink hervor, zuweilen auch blau oder gelb. Wie stark die Farben leuchten, hängt vom Lichteinfall durch einen Deckenschacht am linken Raumende ab. Allerdings bleibt auch bei heller Mittagssonne ein Gefühl der Unfassbarkeit der verwirbelten Farbschlieren bestehen. Das Auge verliert sich, kann sich nur kurz festhalten, an einem Riss in der Leinwand oder einem Stück Eukalyptusblatt, das ins Bild geraten ist.

Schiess verwendete Acryl auf Nylongaze. Er stapelte mehrere Gewebebahnen übereinander und begoss sie mit Industriefarben, wochenlang, aus kleinen Eimern. Zwischen die Schichten schob er trockene Blätter und Zweige, die ihre Spuren hinterließen und für einen ungeordneten Farbfluss sorgten. Am Ende deckte er den Stapel auf – mal entstanden Risse beim Lösen der Stoffbahnen, vor allem aber kamen jetzt die verschwommenen Farbeffekte zum Vorschein. Été (2010) heißen diese begossenen Leinwände, sie verweisen, wie auch die restlichen Arbeiten in diesem Raum, auf Schiess’ Zeit in Mouans-Sartoux an der Côte d’Azur, wo er fast 20 Jahre lebte und einen Garten mit Eukalyptusbäumen hatte.

Die restlichen Arbeiten, das sind vor allem auf Kanthölzer aufgelegte, einfarbige, glänzende Platten, Malereien, wie Schiess diese Werke seit 1990 nennt, nämlich seit er die Flachen Arbeiten (1987–1990), wie sie davor hießen, nicht mehr selbst anfertigt, sondern zum Lackierer geht. Sie liegen teils übereinander, als wären sie nur provisorisch abgelegt worden, mal sind sie gewellt oder etwas dicker, dazwischen befinden sich bedruckte Platten mit Fotos: der bunt gesprenkelte Atelierboden, oder ein mit Eukalyptusblättern übersäter Rasen. Je nach dem Lichteinfall durch die Oberlichter sind diese Details oft nur zu erahnen, zu stark ist die Spiegelung. Häufig lässt sich nur ein diffuses Farbspiel ausmachen.

Um Fragen der Farbe, des Lichts und der Repräsentation geht es Schiess in seinen Malereien. Das, was nicht greifbar ist und sich im Fluss der Zeit immer wieder verändert, macht für ihn die Malerei aus. Das zu zeigen, erreicht er durch die zufälligen, flüchtigen Bilder, die sich auf den glänzend lackierten Oberflächen einstellen, aber auch durch die undurchdringlichen Farbschichtungen der Leinwände, die den Blick zerstreuen.

„Formalistisch, dekorativ? Das sind alles falsche Fährten“, sagt Schiess, der mit seinen monochromen Platten keineswegs dem Minimalismus nahesteht. Seine Arbeiten brauchen ein Gegenüber. In der oberen Etage ist der Raum mit Farbplatten gefüllt – Werken aus französischen Sammlungen. Schiess hat die Leihgaben intuitiv zu einer Fläche zusammengesetzt und eine neue Arbeit geschaffen. Vor einer Fensterfront gelegen, schimmert ihre Oberfläche altrosa, braun, beige, graublau, braunrot. Das Ganze sieht aus wie eine schillernde Wasseroberfläche, die immer ein Stück weit opak bleibt. Zugleich spiegelt sich allerlei in der planen Ebene: die frei liegenden Deckenrohre, die herumlaufenden Besucher, und durch die Fenster die Welt außerhalb des Kunstraums. Die Platten greifen die Umgebung auf, die sich hier in Form eines Mietshauses mit flatternder Wäsche, direkt gegenüber der Terrasse des FRAC, auftut. Die Nachbarschaft einzubeziehen ist programmatisch für das FRAC, zugleich entspricht es dem Anliegen von Schiess, auf die Welt zu zeigen und nicht auf das Objekt, das er hergestellt hat. Die Möglichkeiten der Eindrücke, von Farben und Formen auf der Oberfläche der Stücke scheinen unerschöpflich. Die Malerei findet keinen Abschluss, vor allem im Medium der Platten unterliegt sie einem unaufhörlichen Work in Progress. JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

■ Adrian Schiess: „Peinture“. FRAC Provence-Alpes-Côte d’Azur, Marseille, bis 31. 8.