Weiterleben in den Klängen

JAZZLEGENDE Vor 50 Jahren hat Eric Dolphy den Berliner Jazzclub Tangente miteröffnet, kurz vor seinem Tod. Am 29. Juni spielen an diesem Ort die Saxofonistin Silke Eberhard und andere ein Konzert in Erinnerung an Dolphy

Silke Eberhard ahnte, dass mehr Material ans Tageslicht kommen würde

VON FRANZISKA BUHRE

Im Jazz gibt es Musiker, zu deren Spiel man unmittelbar eine Haltung einnimmt: Entweder ist man elektrisiert oder kann mit dem Gehörten gar nichts anfangen. Die Aufnahmen des Multiinstrumentalisten Eric Dolphy erzeugen jedoch bis heute einen eigentümlichen Sog zwischen Ablehnung und Enthusiasmus. Auf Altsaxofon, Flöte und Bassklarinette setzte Dolphy in den Fünfzigern und frühen sechziger Jahren zu Höhenflügen an. Sein Spiel wirkt mal waghalsig, mal melancholisch geerdet, von subtilem Humor oder größtmöglicher musikalischer Weitsicht durchzogen.

Wie er seinen Stil zu den Vorhaben ganz unterschiedlicher Bandleader in Beziehung setzte, bildet ein fruchtbares Kapitel der Jazzgeschichte: Im Blues des Altsaxofonisten Oliver Nelson bewegt sich Dolphy ebenso gewandt wie in den kammermusikalischen Formen des Schlagzeugers Chico Hamilton. In den Combos von Charles Mingus und John Coltrane entfaltet Dolphys Spiel wegweisende Dimensionen. Er brachte bei Konzerten und Aufnahmen weit mehr Kompositionen anderer zum Leuchten, als er an eigenen Werke einspielen konnte – bedingt durch seinen tragischen und frühen Tod an unerkanntem Diabetes am 29. Juni 1964 in Berlin.

Im Februar desselben Jahres hatte er „Out to Lunch“ eingespielt, ein Album, das Jazz-Enthusiasten bis heute verehren. So auch die in Berlin lebende Saxofonistin Silke Eberhard, die an seinem Todestag ein Konzert ihm zu Ehren im Rickenbacker’s Music Inn spielen wird.

Ihr Weg zu Eric Dolphy führte sie vor 20 Jahren zunächst in ein Internetcafé: Auf einer von Sammlern betriebenen Webseite fand Eberhard Transkriptionen von Dolphy-Stücken. Sie begann, die Notationen zu sammeln und andere von Aufnahmen abzulauschen und in ihre Konzerte zu integrieren.

Dann gründete sie ein Ensemble, um alle Kompositionen Dolphys einzuspielen: So entstand 2009 Potsa Lotsa, ein Bläserquartett mit ihr (Altsaxofon), Patrick Braun (Tenorsaxofon), Nikolaus Neuser (Trompete) und Gerhard Gschlössl (Posaune). Der Verzicht auf Bass und Drums scheint ungewöhnlich, zeugt aber von Eberhards Konzentration auf die eigentlichen Kompositionen, denen sie sich mit aktuellen Mitteln der Improvisation nähert. Ihr ist wichtig, dass alle Instrumente gleichberechtigt zu Wort kommen. Potsa Lotsa gelingt der zeitgenössische Widerhall von Dolphys doppeltem Wesen als Komponist und Interpret ohne einen Anflug von Musealisierung, dafür mit gehöriger Spielversessenheit.

Ein Doppelalbum des Ensembles mit Bearbeitungen der bis dato 26 bekannten Dolphy-Stücke erschien 2010. Silke Eberhard ahnte, dass mehr Material ans Tageslicht kommen würde. Unter Musikern kursierte die Geschichte der „Love Suite“, die Dolphy 1964 für seine bevorstehende Hochzeit mit der Tänzerin Joyce Mordecai geschrieben hatte. Der heute 88-jährige Musiker Gunther Schuller, der mit Dolphy Platten aufgenommen hatte, war im Besitz der Noten der „Love Suite“ und stellte sie Eberhard zur Verfügung. Die drei Sätze der nie aufgeführten Komposition sind fragmentarisch, die Saxofonistin hat sie behutsam ergänzt und ihr Ensemble für die neue Einspielung erweitert. Eberhard ist nun auch auf der Bassklarinette zu hören, jenem Instrument, das Dolphy als Erster in den Jazz eingeführt hat.

Er hatte sogar Vogelstimmen notiert

Die Reise in Dolphys Klangwelt geht weiter: Ende Mai wurde der Library of Congress in Washington ein Konvolut bisher unbekannter Autografen des Musikers übergeben, darunter alternative Arrangements seiner bekannten Kompositionen, Noten unbekannter Stücke, Improvisationsskalen und Transkriptionen – Dolphy hatte sogar Vogelstimmen notiert.

Seine letzte Tour durch Europa ist von Legenden umrankt. Charles Mingus ergänzt den Titel seines Dolphy gewidmeten Blues „So Long Eric“ um die Mahnung „Don’t stay over there too long“, als er erfährt, Dolphy wolle länger in Europa bleiben. Mingus ist es auch, der nach der Nachricht vom Tod Dolphys prompt den Vorwurf erhebt, rassistische deutsche Ärzte hätten ihn falsch behandelt.

Am 27. Juni, einem Samstag vor 50 Jahren, spielt Eric Dolphy zur Eröffnung des Jazzclubs Tangente in Berlin-Wilmersdorf. Mit Mühe bewältigt er einige Stücke und bricht auf der Bühne zusammen. Aus dem diabetischen Koma, in das er fällt, wacht er nicht wieder auf. Den Ort seines letzten Auftritts gibt es heute noch. Zwar setzt das „Rickenbacker’s Music Inn“ seit Jahrzehnten auf publikumswirksame Rockmusik, ein Konzert im Gedenken an Eric Dolphy ist für die Verantwortlichen aber Ehrensache. Silke Eberhard wird mit einer eigens für diesen Anlass gebildeten Band spielen. Der damalige Manager der Tangente, Hartmut Topf, wird eine Ansprache halten.

■ 29. Juni, „Eric Dolphy Memorial Concert“, Rickenbacker’s Music Inn, Bundesallee 194