Der antrainierte Killerinstinkt

KERNKOMPETENZ TÖTEN „Targets“ – Herlinde Koelbls beeindruckendes Fotoprojekt im Deutschen Historischen Museum zeigt die Kehrseite der Floskel, Deutschland müsse wieder mehr Verantwortung übernehmen

Wer in einer Hörstation den Interviews lauscht, die Herlinde Koelbl mit Soldaten geführt hat, spürt einen kalten Schauer auf dem Rücken

VON INGO AREND

Eine zerlöcherte Zielscheibe in einem Acker. So begann es. Als Herlinde Koelbl vor 30 Jahren über die Geschichte der Bundeswehr recherchierte, nahm die Fotografin das malträtierte Übungsgerät auf einem Militärgelände auf. „Das Foto hat mich einfach nicht losgelassen“ erinnerte sie sich später. „Es war Winter, es war kalt, dazu die aufgehende Sonne, die durch die Schusslöcher schien: Die Szene hat eine Schönheit und ist zugleich Symbol für Schrecken, Gewalt und Tod.“

Der irritierende Zufallsfund war der Auftakt für eine Langzeitrecherche, deren Ergebnisse nun im Deutschen Historischen Museum zu sehen sind. In „Targets“ dokumentiert die 1939 geborene Fotografin, die durch Fotoprojekte wie „Jüdische Leute“ (1989) oder „Spuren der Macht“ (1999) bekannt wurde, was sie in sechs Jahren und fast dreißig Ländern fand: Von Schüssen durchsiebte Pappkameraden, Plastikfiguren, denen jede Menge Kugeln im Kopf stecken, Geisterstädte in der Wüste, in denen militärischer Nahkampf geübt wird.

So ernst sie ist, transportiert die Schau doch einen Moment surrealer Komik. Etwa wenn man sieht, wie in Deutschland auch Kulissen gefleckter Kühe als Zielscheibe benutzt werden. Sie demonstriert einen aufschlussreichen Wandel des Feindbildes. Schossen amerikanische Soldaten bis vor kurzem noch auf einen grünen Plastik-Iwan mit rotem Stern auf dem Helm, stehen jetzt überall Figuren mit Backenbart und Pali-Tuch zum Abschuss bereit. Hollywood-Designer haben der US-Armee detailgetreu ein arabisches Dorf samt Moschee in der Wüste entworfen. Über einem hölzernen Hackklotz vor der Metzgerei baumelt ein blutüberströmter Tierleib. Die Straßen der Phantomstadt Jeoffrécourt der französischen Armee sind noch nach deutschen Städten wie Berlin benannt.

„Targets“ ist ein Projekt, bei dem die Konzeptfotografin Koelbl ihre Stärken ausspielen kann. Streng, nüchtern, ohne irgendeinen antimilitärischen Furor, dokumentiert sie das Ambiente der Schießausbildung weltweit. So tritt die Kehrseite dessen, was sich jetzt als rhetorische Figur den Weg in den politischen Diskurs bahnt, um so furchterregender hervor. Wenn „Deutschland mehr international Verantwortung“ in der Welt zeigen und dafür „notfalls auch zu den Waffen greifen“ muss, geht das nicht ohne die Kernkompetenz, die die familiengerechte Wohlfühl-Armee von Verteidigungsministerin von der Leyen gern vergessen machen möchte: töten, zielgenau, skrupellos. Man sollte jedem den Besuch der Schau zur Auflage machen, bevor er den fatalen Gauck-Satz nachplappert. Erst dann versteht man, worauf Soldaten konditioniert werden: „Du musst lernen automatisch zu töten, um zu funktionieren“, sagte einer von ihnen Koelbl. Wer Koelbls Interviews mit Soldaten in einer „Hörstation“ lauscht, spürt einen kalten Schauer auf dem Rücken.

„Soldaten sind Mörder.“ Der totzitierte Satz von Kurt Tucholsky begleitet einen durch diese Schau, je länger man sie durchläuft. Wird hier nicht mit jedem Foto der Beweis angetreten, dass der Weimarer Publizist Recht hatte? „Nein“, sagt die Fotografin am Dienstagabend im Gespräch mit Kurt Kister, dem Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, als sie gefragt wird, ob sie in Tucholskys Diktum nicht doch ein Fünkchen Wahrheit sehe.

Grauzonen im Gefecht

„Diesen Satz“, sagt sie und springt auf, „würde ich so nicht in die Diskussion bringen. Es kommt auf die ethische Haltung an.“ Wie meint die erklärte Militärskeptikerin das? „Wenn es ein Gesetz gibt, dass es eine Armee gibt, ist es legitim, dass so etwas geübt wird. Aber es gibt Grauzonen; im Krieg, in konkreten Kampfsituationen. Da entscheidet sich: Tötet der Soldat oder meuchelt er sinnlos.“ Das klingt nach moralisch-juristischer Haarspalterei. Wenn man nicht Koelbls Soldatenfotos sehen würde. Nüchterne, emotionslose junge Männer aus Afghanistan, Israel oder Frankreich, deren Gesichter tief unter den Helmen mit Tarnstoff sitzen. Keiner von ihnen sieht aus wie ein Mörder. Und auch wenn einer der Interviewten von der „Euphorie“ des Gefechts spricht. Der Wahnsinn eines Colonel Kurtz aus Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ blitzt nicht auf.

Die potentiellen Mörder plagen sogar ziemliche Skrupel. „Als Panzerkommandeur hoffe ich nur, dass wir treffen. Weiter denke ich nicht. Wenn ich weiter dächte, würde es mich innerlich auffressen“, lautet eines der Bekenntnisse, die auf die Wände aufgetragen sind. Und dann steht man vor diesem Satz: „Der antrainierte Killerinstinkt ist etwas, das jederzeit wieder erweckt werden kann.“

■ „Targets. Fotografien von Herlinde Koelbl“. Deutsches Historisches Museum. Bis 5. Oktober