Unsere Besten auf der Straße

AUSSTELLUNG Brigadistinnen damals und heute: Der Industriesalon Oberschöneweide zeigt Porträts von Frauen, die in der DDR als Bestarbeiterinnen des Ostberliner Werks für Fernsehelektronik ausgezeichnet wurden

Die Betriebszeitschrift Der Sender würdigte regelmäßig in ihren Monatsausgaben die Frauen des Werks, die mit den unterschiedlichsten Auszeichnungen wie dem „Banner der Arbeit“, „Aktivistin“ oder „Beste des Monats“ ausgezeichnet wurden. Die Ausstellung liefert Einblick in innerbetriebliche, vor allem auch soziale Verhältnisse in Industriebetrieben der DDR und zeigt, was aus den Frauen heute geworden ist.

■ „Unsere Besten“, im „Industriesalon Oberschöneweide“, Reinbeckstr. 9, bis 21. September, Mi., Fr., So. 14–18 Uhr

VON HELMUT HÖGE

Zu DDR-Zeiten gab es „Die Straße der Besten“, die mit den Köpfen der Sieger gepflastert war – das heißt besonders verdienter Arbeiter. Die Kunsthistorikerin Sabine Vogel und ich gehörten auch einmal dazu – 1990 als Mitarbeiter der „Besten Brigade“ der LPG Tierproduktion „Florian Geyer“ im brandenburgischen Saarmund. Es gab zwar nur einen Geschenkkorb – aber immerhin. Einige Neider aus anderen Brigaden behaupteten hinterher, diese Auszeichnung sei nur wegen uns – „den Wessis“ – erfolgt. Mit der „Brigadebewegung“ entstand ab 1960 ein regelrechter „Titelkampf“, weil die alljährlich neu im „sozialistischen Wettbewerb“ ausgezeichneten Brigaden von der Betriebsleitung gefördert wurden. Wir bekamen dann auch neue Forken, Gummistiefel und Arbeitsanzüge.

Derzeit findet im „Industriesalon Schöneweide“ eine Ausstellung über „Unsere Besten“ statt. Sie wurde von Susanne Schleyer und Michael Stephan zusammengestellt. Dazu werteten die beiden Künstler die Betriebszeitung „Der Sender“ des „Frauenbetriebs“ Werk für Fernsehelektronik (WF) in Oberschöneweide aus, in der die „Bestarbeiter“ und „Aktivisten“, später auch die „Kollektive der sozialistischen Arbeit“ gewürdigt wurden.

Die zwei Künstler kontaktierten 28 Frauen, um sie zu porträtieren. Nun hängen in der Ausstellung kleine Fotos von ihnen aus den Jahren 1966 bis 1989 und lebensgroße von heute. Darunter steht zum Beispiel: „Ursula E. (77) Banner der Arbeit 1979“ oder „Angelika S. (67) Beste des Monats 1989“.

Eine „Heldin der Arbeit“ ist nicht dabei – zu dieser Auszeichnung bekam man eine Prämie von 10.000 Mark, als „Aktivistin“ nur einige hundert. Die Auszeichnungen bezogen sich auch auf kulturelle und soziale Aktivitäten. Unsere Brigade ging zum Beispiel einmal im Monat ins Theater, das heißt, der Linienbus fuhr uns abends nach Potsdam und anschließend wieder zurück, dafür bekam der Fahrer eine Flasche Kiwi (Kirschwhisky).

Im WF hing im Foyer ein großes Wandbild „Die Frau in der sozialistischen Produktion“ von Bruno Bernitz 1964. Es verschwand, nachdem Samsung das WF 1993 für 1 DM gekauft hatte – und 2006 stilllegte. In der Ausstellung hängt nur noch ein Foto vom Wandbild sowie einige Skizzen von Aktivistinnen. 1950 und dann noch einmal 1960 hatte man versucht, Produktivität und Produktqualität über die „Brigadebewegung“ zu steigern. Etliche „Engagierten-Brigaden“ schlossen eigene Verträge mit der Werksleitung ab, in denen die Normvorgaben von oben für einen bestimmten Zeitraum festgeschrieben wurden, und nur „auf der Grundlage der freiwilligen Erhöhung durch die Brigade“, also von unten, verändert werden durften.

Dieses Mitbestimmungsmodell weitete sich ab 1951 aus, im Endeffekt lief es auf eine Doppelherrschaft in den Betrieben hinaus. Noch bis zum Ende der DDR wehrten sich einzelne Brigaden gegen Lohnabzüge bei verminderten Leistungen aufgrund von Versorgungsmängeln, für die sie nichts konnten: sei es, weil die Materialzufuhr stockte, das Rohmaterial schlecht oder ihre Maschinen verschlissen waren. Im WF standen welche von Toshiba, die in Japan einschichtig liefen, hier jedoch dreischichtig, was oft zu Störungen führte.

Laut dem Brigadeforscher Jörg Roesler wurden die erkämpften „Selbstgestaltungsfreiräume“ nach und nach reduziert, „so daß im Prinzip das alte Verhältnis Meister/Kolonnenführer wiederhergestellt wurde“, wenn auch die Brigade dem Namen nach erhalten blieb.

Die Auszeichnungen bezogen sich auch auf kulturelle und soziale Aktivitäten

Die zweite „Brigadebewegung“ sollte zwar wie „von unten“ aussehen, wurde jedoch 1960 zunächst von oben durch den FDGB initiiert – und richtete sich zum Beispiel gegen „Arbeitsbummelei“ und „Trinkerei“, beförderte aber auch – über „Brigadenachmittage“ etwa – das soziale Miteinander. Ein Artikel in der Tribüne – „Den Brigaden größere Rechte“ – veranlasste Walter Ulbricht, die Bewegung auszubremsen: Das sei „Syndikalismus“ und rieche nach „jugoslawischer Selbstverwaltung“.

Die Brigadebewegung verkam daraufhin zu medial inszenierten Wettbewerbshebeln à la „Jeder liefert jedem Qualität“ – eine Parole, für die man die Arbeiterin im Frauenbetrieb „Narva“ Erika Steinführer in den Medien als „Heldin der Arbeit“ aufbaute. Zuletzt führte der Maler Walter Womaka mit einem Porträt von ihr noch die Pop-Art (als Sozpop) in der DDR ein. In der Wende schafften die Kombinate diesen ganzen „Q-Klimbim“ kurzerhand ab.

Auch in Oberschöneweide wurde nach der Wende eine neue Periode eingeleitet – mit Kunst: Die sechs Großbetriebe, in denen 25.000 Menschen arbeiteten, wurden bis auf einen kleinen abgewickelt. Dann zogen Künstler und Galeristen sowie die halbe Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in die Fabriken. Aus dem Pförtnerhäuschen vor dem „Industriesalon“ wurde ein schickes Café, in dem nun die noch lebenden Bestarbeiterinnen Bio-Kuchen essen.