Ändere die Welt, sie braucht es

WERKSCHAU Unbedingt immer wieder Hanns Eisler hören! Eine große CD-Box bietet nun zum Glück eine gute Gelegenheit dazu

VON SYLVIA PRAHL

In der Karriere des Komponisten Hanns Eisler spiegeln sich die politischen Tragödien des 20. Jahrhunderts wider. Eine schlicht als „Hanns Eisler Edition“ betitelte Box mit zehn Alben lädt nun ein, sich eingehend mit seinem Leben und Schaffen zu beschäftigen, was, wie sein enger Weggefährte Bertolt Brecht es einst formulierte, „den Ausübenden wie den Hörer auf beglückende Weise verändert“.

Übertrieben ist Brechts Einschätzung keineswegs. Das mag daran liegen, dass Eislers Werk stark politisch geprägt ist und die darin angeprangerten Missstände bestürzend aktuell sind. Das Diktum „Ändere die Welt, sie braucht es“ aus Brechts kontroversem Lehrstück „Die Maßnahme“ war ihm tatsächlich ein wichtiges Anliegen. Er vertonte es 1930. Und verfolgte es in vielen Kompositionen und Texten mithilfe beißender Ironie und distanziertem Sarkasmus.

Eindrücklich ist das in seiner „Kampfmusik“ zu hören, die er ab 1925 entwickelte. So heißt es in dem „Lied der Arbeitslosen“: „Wenn du keine Wohnung hast, geh spazieren.“ Und weiter, in seiner Agitation angestaubt, aber charmant: „Kurze Anfrage: Wie lange wollt ihr dieses Leben noch ertragen, ohne Ohrfeigen auszuteilen an die Herren dieser Welt?“ Das Stück für Männerchor verbreitet dennoch Zuversicht und verdeutlicht den Schrecken mit schwankenden Lautstärken und plötzlich kreischender Vielstimmigkeit. Bedrückende Erlebnisse und unhaltbare Zustände bearbeitete Eisler, der Pathos und Romantik verabscheute, mit einem Lächeln. Im „Bankenlied“ versah er den Text von Jean Baptiste Clément „Wir sind entlassen, jetzt ist’s so weit“ 1931 mit einer schmissigen Melodie und instrumentierte ihn mit aufsässigen Trompeten im sorgenfreien Varieté-Stil.

Eisler wurde in Leipzig geboren, wuchs in Wien auf und behielt zeit seines Lebens den Wiener Schmäh bei – was hier auch bei Aufnahmen von einer Probe mit der Sopranistin Irmgard Arnold zu hören ist. Sein Vater war ein Philosoph ohne feste Anstellung, seine Mutter eine Fleischertochter und glühende Sozialistin. Trotz der bildungsbürgerlichen Herkunft waren die finanziellen Verhältnisse mickrig, an eine Musikausbildung des begabten Sohns, der bereits als Zehnjähriger das Komponieren anfing, war nicht zu denken.

Eisler entwickelte so früh einen Blick für soziale Schieflagen und wurde überzeugter Marxist, trat aber nie einer kommunistischen Partei bei. Anders als sein Bruder Gerhart und seine Schwester Ruth Fischer, die in den 20er Jahren eine Schlüsselfigur im linken Flügel der KPD war, aber mit Stalin in Konflikt geriet und nach einer 180-Grad-Wende ihre eigenen Brüder im US-amerikanischen Exil ans Messer des von McCarthy gegründeten Komitees für unamerikanische Aktivitäten lieferte.

Die CD-Edition stellt die vier Schaffensphasen Eislers nicht in chronologischer Reihenfolge vor, sondern ist nach Genres unterteilt wie Orchester-, Chor-, Kammer- und Klaviermusik, vokalsymphonischen Werken und den Vertonungen seiner eigenen Texte und denen Brechts. Dadurch wird die Entwicklung des Komponisten gut nachvollziehbar. Großen Raum nehmen Filmmusiken ein, Eisler schätzte den Film als demokratische Kunstform. Das seiner Meinung nach bourgeoise L’art pour l’art der bei Schönberg erlernten Zwölftonmusik-Technik lehnte er ab. Musik sollte funktional sein, rational, realistisch. Dennoch war Eisler überzeugt, dass die Katastrophen des 20. Jahrhunderts nur mittels atonaler Musik erfahrbar gemacht werden können.

„Kuhle Wampe“

Um ein weniger gebildetes Massenpublikum im Kinosaal – das er dem bürgerlichen im Konzertsaal vorzog – anzusprechen, vermischte er das Experimentelle mit zugänglichen Melodien. Wie er in dem 1947 erschienenen, gemeinsam mit Theodor W. Adorno verfassten Standardwerk „Composing for the Films“ schreibt, sollte eine Verdoppelung der auf dramaturgischer Ebene entfachten Gefühle, die permanente Kommentierung der Handlung und ein „Stimmungszauber“ wie im Hollywoodfilm unbedingt vermieden werden.

Musik soll den Zuschauern einen Sinn vermitteln, der über das Gesehene hinausreicht und dennoch die Bilder ergänzt. Mit der Musik zum Film „Kuhle Wampe“, der 1932 semidokumentarisch die üblen Lebensbedingungen der Berliner Arbeiter veranschaulicht, löst Eisler diesen Anspruch ein. Die Melodien sind angriffslustig und geradezu leichtfüßig, was den Protagonisten ihre Würde erhält.

Die Musik zum Film „Dans les Rues“ von Viktor Trivas ist der Kammermusik zugeordnet (und fälschlich als Musik zu Ruttmanns Film „Opus III“ bezeichnet). Eisler empfand die Suite als eines seiner besten Werke, doch weil der Film aus dem Jahr 1933 erfolglos war, war auch seiner Musik nur wenig Aufmerksamkeit beschieden. Ein Verlust, denn die Musik ist von großer Schönheit, beschwört mächtige Bilder herauf und beeindruckt durch ihre traurige Schlichtheit.

Warum Gisela May als begnadete Interpretin von Eislers Brecht-Vertonungen gilt, wird bei dem „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ deutlich. May verbindet einen den Opportunismus anklagenden Text Brechts und die salopp kontrapunktisch dazu schwingende Musik mit eisiger Eleganz.

Das vokalsymphonisch angelegte Requiem für Lenin entstand in den Jahren 1935 bis 1937. Der Text von Brecht orientiert sich sprachlich am Duktus religiöser Rezitative. Auch die musikalische Umsetzung wirkt wie eine gelungene Parodie traditioneller geistlicher Musik – eine Vorgehensweise, die Eisler insbesondere in seinen Agitprop- und Kampfmusikstücken auf die Themenbereiche romantischer Naturbetrachtungen und Liebe ausgedehnt hat. Die musikalische Umsetzung der Zeile „Gott ist ein Faschist“, die aus Brechts „Bildern aus der ‚Kriegsfibel‘ “ von 1957 herausschreit, lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass ihr Komponist es hier ganz ernst meint.

Kampf gegen Faschismus

Die 1935 bis 1939 im US-Exil entstandene „Deutsche Sinfonie“, hier in einer Aufnahme von 1987 mit dem Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin unter Max Pommer zu hören, ist Eislers umfangreichstes Einzelwerk und spiegelt seine absolute Hingabe für den internationalen Kampf gegen den Faschismus. Musikalisch nutzt Eisler darin alle ihm vertrauten Genres – von seiner „Kampfmusik“ und leicht nachzusingenden Arbeiterliedern über vokale und instrumentale Kammermusik bis hin zu vokaler symphonischer Musik.

Als besonders perfide Ironie des Schicksals muss der Antifaschist Eisler es empfunden haben, dass seine Arbeiterchorlieder von den Nationalsozialisten vereinnahmt wurden. Die Melodien der eingängigen Lieder, die mitunter auf Arbeiterchorfesten von über tausend Menschen gesungen wurden, waren so bekannt und hatten eine so große gemeinschaftsstiftende Zugkraft, dass die Nazis die in ihrem Sinne umgedichteten Lieder ohne Noten mühelos verbreiten konnten.

Das Gros der Aufnahmen stammt aus den 60er und 70er Jahren und wurde vom Leipziger Gewandhausorchester oder den Rundfunk-Sinfonie-Orchestern Berlins und Leipzig eingespielt. Namhafte Sängerinnen wie Roswitha Trexler überzeugen ebenso wie die Sängerinnen und Sänger der Berliner Singakademie oder des Rundfunkchors Berlin.

Leider sind Aufmachung und Texte der CD-Box eher dürftig und bisweilen schlampig recherchiert. Auf der Website des Labels hingegen sind umfangreiche und informative Linernotes abrufbar. Verfasst hat sie noch der 2010 verstorbene Musikwissenschaftler und Eisler-Spezialist Günter Mayer.

Hanns Eisler Edition (Brilliant Classics/Edel)