Beete voller giftiger Pflanzen

AUSSTELLUNG Die Sammlung Falckenberg in den Deichtorhallen zeigt zurzeit eine große Retrospektive des komplexen Werks des italienischen Künstlers Gianfranco Baruchello

Obwohl Baruchellos Arbeiten bereits mehrfach auf der Biennale in Venedig und der Documenta gezeigt wurden, ist er in Deutschland kaum bekannt

VON RADEK KROLZCYK

Die Arbeiten des italienischen Künstlers Gianfranco Baruchello sind schwierig und überfordern schnell. Sie brauchen Aufmerksamkeit und Zeit. Seine Bilder sind riesengroß und kleinteilig, in seinen Filmen passiert trotz halbstündiger Spieldauer nur äußerst wenig. Er legt seltsame Archive und Beete mit giftigen Pflanzen an, die er dann ausstellt.

In der Sammlung Falckenberg in Hamburg-Harburg ist zurzeit unter dem Titel „Certain ideas“ eine große Retrospektive des 1924 im italienischen Livorno geborenen Künstlers zu sehen. Obwohl Baruchellos Arbeiten bereits mehrfach auf der Biennale in Venedig und der Documenta gezeigt wurden, ist er in Deutschland kaum bekannt. Baruchello hat in über 60 Jahren künstlerischen Schaffens ein schwer überschaubares Werk geschaffen.

Die Kommentatoren schreiben lobend von Antikunst. Ob damit die Überführung wissenschaftlicher Beschäftigung in den Bereich der Kunst oder die Verwendung von Alltäglichem gemeint ist? Vielleicht meinen sie die schwer zugänglichen und sperrigen Formate, die bei ihm in jedem Medium zu finden sind?

Tatsächlich gibt es bei Baruchello diese pseudoradikalen Gesten der Überwindung von Kunst nicht, wie etwa bei den Wiener Aktionisten. Diese lässt sich bereits an seiner Biografie erkennen. Denn Kunst stellt für den studierten Juristen und Ökonomen, der zuletzt bis zum Ende der 50er in einer Chemiefabrik beschäftigt war, einen Ort der Freiheit dar. So widmet er sich vielmehr ihrer Errettung vor der Banalisierung und agiert ohne Rücksicht auf ihren Unterhaltungswert und oftmals gegen die Regeln von Genre und Gattung.

Baruchellos Kunstwerke sind inkommensurabel. Sie sind so vielschichtig und kompliziert wie die Welt da draußen, von der viel darin enthalten ist. Und wie die Welt da draußen sperren sich seine Werke beharrlich gegen ihre Entschlüsselung.

Etwa seltsame Filme wie dieser: Man sieht auf der Leinwand eine Fläche in blassem Grün, dann Violett, die Falten schlägt, als wäre sie ein Laken. Die Falten zerschneiden das Bild an unterschiedlichen Stellen in unregelmäßigen Intervallen. Dann hebt sich die Kamera ein wenig, man sieht den Horizont, und es wird klar, dass es das Meer ist. Auf der bewegten unebenen Wasseroberfläche bricht sich das Sonnenlicht. Man sieht schnell sich bewegende, gleißende Punkt, die Löcher in den Untergrund zu brennen scheinen. Wasser brennt nicht, vielleicht aber brennt der Super-8-Film!? „Il grado zero del paesaggio“ ist der Titel von Baruchellos erstem, 1963 produziertem Film.

Die ersten Kunstwerke, die er gegen Ende der 50er Jahre fertigte, waren Assemblagen aus Holz, in denen er farbig lackierte Fundstücke so anordnete, dass sie an Farbfeldmalerei erinnerten. Ebenfalls auf Fundstücken wie alten Türen und Holzlatten baute er lebensgroße Figuren, denen er Kleider und Schuhe anzog. Als Kopf trugen diese Gestalten aufgeschlagene Bücher. Das wirkt dann auch schon sehr programmatisch.

Etwa zeitgleich widmete er sich für kurze Zeit der informellen Malerei und ließ über weißgrundierte schmale Leinwände in dünnen Bahnen schwarze Farbe laufen. Anfang der 60er Jahre lernte Baruchello in New York Marcel Duchamp kennen. Ein gewisser Einfluss bleibt auch hier nicht verborgen. Das Spiel mit wissenschaftlicher Ordnung, Archivsystemen und Zufällen prägt das Werk des italienischen Künstlers. Bücher behalten eine zentrale Rolle – auch über die Assemblage hinaus. Aus gerollten kleinen Papierstreifen baut er riesige Bibliotheken. Wirkliche Bücher türmt er zu Skulpturen und überzieht sie mit weißem Lack. In Form einer Bahre baut er Anfang der 70er Jahre einen Schuber. Darauf schreibt er die Worte: „Cimitero di opinioni“ – „Friedhof der Meinungen“.

Als politischer Künstler versteht Baruchello sich durchaus. 1966, auf der Höhepunkt von Vietnamkrieg und Studentenprotesten, schickte er an das amerikanische Verteidigungsministerium den Entwurf eines „Multipurpose Object“. Auf den beigelegten Fotografien, sieht man, ähnlich einer Gebrauchsanweisung, Hände, die die Anwendung eines metallenen Gegenstands, der an eine Handgranate oder einen Ladebolzen erinnert, demonstrieren. In Wirklichkeit handelt es sich um einen formschönen, aber nutzlosen Gegenstand. Seine Anwendung eignet sich nicht für die Kriegsführung. Ein Mr. John S. Foster von der Abteilung für die Entwicklung für Kampfmittel dankt dem Künstler in einem Brief freundlich und lehnt das Angebot ab.

Am bekanntesten aber sind Baruchellos kleinteilige Zeichnungen, die er teilweise auf riesigen Leinwänden seit den frühen 60er Jahren anfertigt. Man sieht feine Linien und Punkte, kleine Gegenstände und Figuren. Die Bilder erinnern an Landkarten, Baupläne oder Skizzen chemischer oder soziologischer Zusammenhänge. Baruchello bringt Ordnung in eine Welt die in Unordnung verfallen ist. Oder er tut zumindest so.

■ Bis 28. September, Sammlung Falckenberg, Deichtorhallen Hamburg. Katalog (Electa) 55 Euro