Münchhausens schönstes Luftschloss

KUNSTFIGUR Im Ungefähren zuhaus: Der Entertainer Friedrich Liechtenstein und sein neues Album „Bad Gastein“

Das Leben in Armut gehört zum Konzept Liechtenstein, die Aufklärung über seine Absichten nicht

VON THOMAS WINKLER

Jetzt ist es also so weit. Jetzt haben sie es selbst da unten in München mitgekriegt. Okay, Friedrich Liechtenstein war jetzt nicht mehr das allerbestgehütete Geheimnis. Spätestens seit dem zum YouTube-Renner gewordenen Werbespot für eine Einzelhandelskette, in dem er die Muschi, die Uschi und das Sushi als „supergeil“ lobt, kennt ihn eigentlich jeder. Aber nun hat ihn das Feuilleton der Süddeutschen nicht nur entdeckt, sondern auch gleich so sehr ins Herz geschlossen, dass man sich schon wundern darf. Denn alles, was von dieser in Preußen gelegenen Hipsterhauptstadt kommt, wird da unten in München traditionell überaus skeptisch beäugt.

Nun aber kriegen sie sich anlässlich von „Bad Gastein“, Liechtensteins neuem Album, gar nicht mehr ein. Und völlig zu Recht, zugegeben. Dass die SZ den 1956 in Eisenhüttenstadt, das damals noch Stalinstadt hieß, als Hans-Holger Friedrich geborenen Unterhaltungskünstler zum „Großmeister der Ironie“ kürt, greift allerdings etwas zu kurz. Liechtenstein macht sich zwar sehr verdient um die Rehabilitierung des hintergründigen Humors, dessen Leumund zuletzt ein eher schlechter war.

Aber entscheidender als der ironische Umgang mit Chanson-Klischees, Belle-Epoche-Sentimentalität oder Disco-Nostalgie scheint ein anderer Aspekt am unerwartet und zugleich wie programmiert wirkenden Erfolg des Entertainers mit dem in Ehren ergrauten Vollbart und gepflegten Bauchansatz: In Friedrich Liechtenstein verschmelzen wie in kaum einer anderen Figur zuvor die Kunst, das Leben und die Werbebotschaft.

Mondän, morbide, abstrus

Denn seien wir ehrlich: Zwar demonstriert Liechtenstein auf „Bad Gastein“ mal wieder, wie souverän er Serge Gainsbourgh, Vader Abraham und Scooter zusammen denken kann. Auf dem Album tuckern die todschicken Electro-Beats, gestaltet von den jungen Produzenten Carl Schilde und Anselm Venezian Nehls, während der Chansoneur die abstrusesten Geschichten daherbrummt.

Er besingt in „Das Badeschloss“ die mondän-morbide Form der Liebe und geht mit seinem „Elevator Girl“ ganz unbekümmert tanzen, er versinkt in monströser Melancholie und ergötzt sich an abgeschabtem Glamour, zitiert aber auch manchmal bloß Falco („Alles klar, Herr Kommissar“).

In „Belgique, Belgique“ entwirft Liechtenstein schließlich eine Biografie, in der fünf Jahre in der Fremdenlegion, die Gründung einer freien Tankstelle, ein Badeunfall in Biarritz und eine Karriere als 72-jähriger Gogo-Tänzer wie selbstverständlich aufeinanderfolgen. Im dazugehörigen Video sieht man Liechtenstein verschmitzt unter einer gewaltigen Pelzmütze hervorblicken, während geheimnisvolle Schönheiten mit rot geschminkten Lippen durch einen Zug irren und sehnsüchtige Blicke auf triste belgische Stadtlandschaften werfen.

Andererseits und zuvorderst aber ist „Bad Gastein“ natürlich auch ein weiteres Lehrstück, wie Liechtenstein alle Grenzen zwischen Kunst und Kommerz verschwinden lässt. Bis der große Erfolg kam, hatte sich Liechtenstein, nachdem er vor der Wiedervereinigung ein Kulturhaus in Sachsen geleitet hatte, bereits jahrzehntelang als Puppenspieler, Gelegenheitsschauspieler, Conferencier, Hörspielmacher, Varietékünstler, Radiomoderator oder Intendant durch die Subkulturlandschaft geschlagen.

Irgendwie immer da

Er war irgendwie immer da, wenn eine Ausstellung eröffnet wurde, ein Theaterstück Premiere feierte oder sonst irgendwer irgendetwas Kreatives machte, wenn also Berlin ganz bei sich war.

Etwas bekannter wurde Liechtenstein aber erst, als er sich zum „Schmuck-Eremiten“ erklärte, der im Verkaufsraum eines feschen Brillenherstellers unter dem Existenzminimum lebte. Diese moderne Version des armen Poeten wurde „Pop-Flameur“ getauft und beförderte ihn ins lokale Feuilleton, der Auftritt in der Kampagne von Edeka schließlich sogar in die Weltpresse. Der Song, mit dem die Supermarktprodukte beworben wurden, mag schon vorher existiert haben. Aber spätestens jetzt war nicht mehr klar, wo der Werbebotschafter Liechtenstein beginnt, der Künstler aufhört, und was das alles mit dem Menschen zu tun hat.

Parallel zum Album ist Liechtenstein nun auch der Held in der aktuellen Werbezeitschrift des Kurorts Bad Gastein. „Der Schmuckeremit schmückt jeden Ort“, heißt es in einem hochglänzenden Porträt, „auch Bad Gastein“.Das wäre also geklärt.

Fragt sich nur noch: Was ist Friedrich Liechtenstein? Eine Kunstfigur? Bloß ein Testimonial? Oder doch ein Lebensentwurf? Ein Konzept? Man weiß es nicht. Und das soll auch so sein. Bis heute fällt Liechtenstein nicht aus der Rolle und behauptet weiterhin, kaum mehr zu besitzen als den leidlich edlen Anzug, den er am Leibe trägt. Das Leben in Armut gehört zum Konzept, die Aufklärung über seine Absichten nicht.

Vielleicht hat Hans-Holger Friedrich die Gestalt Friedrich Liechtenstein erschaffen, um zu ergründen, wie, warum und wann Kunst zur Werbung wird. Ja, vielleicht will er sogar anklagen, dass sich die Kunst zusehends prostituiert. Aber erklären wird er das nicht. Das Phänomen Friedrich Liechtenstein funktioniert nur, weil es Festlegungen verweigert und im Ungefähren bleibt. Ein Baron Münchhausen, der keine noch so kleine Lüge zugeben kann, weil sonst das ganze schöne Luftschloss einstürzen würde. Aber dieses Luftschloss ist schon ganz besonders schön.

■ Friedrich Liechtenstein: „Bad Gastein“ (Heavylistening Records)