Hier stand doch mal eine Mauer

POP Erster Besuch in Berlin seit 27 Jahren: Die Chills aus Neuseeland spielten ihr einziges Deutschlandkonzert

Es bleiben die hübschen Lieder, die alten von den Chills sowieso, und auch die neuen, nachgeschobenen

VON THOMAS MAUCH

Doch, da gab es eigentlich nichts zu meckern an dem Konzert am Montagabend im Berliner Lido. Die Band hatte einen schönen und mild temperierten Poprock im Repertoire und machte auch genug Druck auf der Bühne. Es spielten die Chills. Und da muss man vielleicht doch, um die historische Fallhöhe zu skizzieren, auf den Märchenmodus zurückgreifen.

Es war also einmal, und zwar Mitte der achtziger Jahre, als man plötzlich in Deutschland von diesem aufregenden Pop hörte ganz weit weg aus Neuseeland, der sich um das fabulöse Flying-Nun-Label gruppiert hatte mit Bands wie den Tall Dwarfs, The Gordons, The Clean und vielen weiteren mehr und eben auch den Chills, die Velvet Underground mit einem blumenkinderhaften und manchmal fast schon kirchentagsfreundlichen Schrammelbeat zusammenbrachten. Ganz ungezwungen, jugendlich unbekümmert und in einer folkigen Unbeschwertheit, die durchaus auch was von Punk gehört hatte.

Das war das neue Ding aus Neuseeland, das selbst dem Popmusiktheoretiker Diedrich Diederichsen mal das Leben rettete, wie er in seinem Buch „1.500 Schallplatten 1979–1989“ bekannte und in dem er den Gedanken äußerte, „dass Neuseeland offensichtlich als Ganzes nichts anderes als eine verwirklichte Hippie-Utopie ist (mit allen Problemen, die das einschließt).“

Von diesem popperipheren utopischen Ort Neuseeland werden heutzutage ja eher reggaeinspirierte Jams wie die von den Black Seeds und Fat Freddy’s Drop in die Welt zurückgeschickt statt Indierock. Ihren letzten Auftritt in Berlin jedenfalls hatten die Chills 1987, in vorwendischer Zeit, als Indierock noch ein wirkliches und leidenschaftlich diskutiertes Rolemodel war, die Plattenindustrie keineswegs im Siechtum lag und Kurt Cobain gar nicht tot und noch nicht einmal ein Star war. Also ziemlich lange her.

Was auch Martin Phillipps, Mastermind und einzige Konstante der seit Mitte der neunziger Jahre eigentlich nur noch gelegentlich praktizierenden Chills, aufgefallen ist. Dass damals doch eine Mauer in der Stadt stand, bemerkte der Anfangs-Fünfziger im Lido, und dass wohl „irgendwas passiert sein muss“.

Süffiger Poprock

In der Musik der Chills war das nicht ganz so viel. Keine reine Nostalgieveranstaltung sollte das Konzert sein, auch neue Lieder wurden gespielt, weil es Phillipps mit seinen Chills doch noch mal wissen will. Ein neues Album hat er angekündigt, das in gar nicht so ferner Zukunft erscheinen soll, und die daraus vorgestellten Songs klangen nicht wesentlich anders als das alte Material.

Dieser süffige Poprock, der wahrscheinlich immer genau den Haken zu tricky war, als dass für die Band je mal ein richtiger Hit abfiel. Aber auch mit den neuen Liedern werden die Chills die Plattenindustrie kaum aus ihrem Siechtum heraushauen, und den Indierock kann man, wie es momentan ausschaut, eh nicht mehr wirklich retten.

Aber es bleiben eben die hübschen Lieder, die alten von den Chills sowieso, und auch die neuen, nachgeschobenen, fallen im Vergleich nicht wirklich runter. In der persönlichen Fallhöhe machte Phillipps weiterhin eine bemerkenswerte Figur.

Vollkommen unglamourös verrichtete er seine Arbeit im mit etwa 300 Fans propper gefüllten Lido, seine Mitmusiker waren kompetent und nicht weiter auffällig. Nur im Sound waren die eigentlich filigran gedachten Lieder der Chills um die Hüften herum dann vielleicht eine Spur zu füllig, aber selbst das passte, weil hier halt das mittelalte Ding aus Neuseeland spielte und sich das Unbekümmerte der Jugend eben doch in einem soliden Pubrock-Appeal verfestigt hat.

Was soll man da schon meckern. Ein nettes Konzert, und ein historisches noch dazu. 27 Jahre seit dem letzten Mal spielten die Chills wieder in Berlin. Nach zwei Zugaben und einem freundlichen Schlussapplaus ging man relativ unerschüttert von so viel Geschichte wieder nach Hause.