Es fehlt an Respekt

KINO Die Sala Lugones in Buenos Aires hat zentrale Bedeutung für Geschichte und Gegenwart des lateinamerikanischen Films. Ihre Renovierung wird vernachlässigt

Beleg für die verquere Logik der argentinischen Kulturpolitik ist die Entscheidung von Kulturminister Hernán Lombardi, das Tourismussekretariat seinem Ministerium unterzuordnen

VON JÜRGEN VOGT

Vorsichtig schabt Carlos mit einer kleinen Spachtel Farbschicht um Farbschicht ab. „Es geht darum, die Originalfarbe freizulegen“, sagt der Restaurateur und zeigt auf die Decke im Kinosaal Sala Leopoldo Lugones in Buenos Aires. Die Sala Lugones ist der einzige Kinosaal im Theaterkomplex San Martín der Stadt Buenos Aires. San Martín wiederum gilt als das wichtigste nichtkommerzielle kulturelle Aushängeschild der Stadt. Das Hauptgebäude ist ein wenig schmuckvoller elfstöckiger Zweckbau aus den sechziger Jahren an der Avenida Corrientes, dem Broadway von Buenos Aires, der wegen seines Alters und seiner architektonischen Bedeutung unter Denkmalschutz steht.

Das Gebäude bedurfte schon seit vielen Jahren einer grundlegende Modernisierung, die nach wiederholten Verzögerungen im vergangenen Jahr begonnen wurde. Im Inneren des Gebäudes sollten die Arbeiten von oben nach unten durchgeführt werden. Da der Kinosaal im obersten Stock liegt, standen die Arbeiten dort an der ersten Stelle. Der Kinosaal war zudem am meisten von Nässe betroffen. Im November 2013 kündigten die beiden verantwortlichen Ministerien für Kultur und Stadtentwicklung gemeinsam den Beginn der Arbeiten im Kinosaal für März 2014 an. Die Arbeiten sollten nach drei, spätestens vier Monaten beendet sein.

Doch erst vor knapp einer Woche haben die Renovierungsarbeiten überhaupt begonnen. Luciano Monteagudo, seit über 30 Jahren Programmdirektor in der Sala Lugones, steht im leeren Vorführraum. Seine Augen folgen den Wassertropfen, die von der Decke auf die am Boden liegenden Lappen fallen. „Im Februar haben wir Filmprojektoren und sonstige Technik abgebaut und zur Einlagerung weggebracht. Wir stellten uns also darauf ein, dass wir unser Programm im Juli oder spätestens August wieder aufnehmen könnten. Eine Ausweichspielstätte war nicht vorgesehen“, sagt er.

Seit der Eröffnung 1967 gilt die Sala Lugones mit ihren 233 Sitzplätzen als inoffizielle Spielstätte der Fundación Cinemateca Argentina, die sich vor allem dem Autorenkino und den cineastischen Klassikern verschrieben hat. Einzigartig ist dieser Ort in Buenos Aires aber auch, weil er Treffpunkt der jungen oder nichtkommerziellen argentinischen Filmemacher ist. Die Freunde des Kinos starteten eine Unterschriftenaktion, um gegen die Tatenlosigkeit zu protestieren. Innerhalb weniger Tage kamen 2.500 Unterschriften zusammen, die Presse berichtete.

Seit einigen Tagen stehen immer wieder kleine Grüppchen von Leuten zwischen den Sitzreihen und reden über die großen Wasserflecken und die asbestbelasteten Seitenwände. Nein, die Unterschriftenaktion habe nichts bewirkt, erzählt eine Mitarbeiterin vom Stadtentwicklungsministerium, die anonym bleiben möchte.

Behäbige Bürokratie

Einziger Grund der Verzögerung sei die Behäbigkeit der Bürokratie der beiden Ministerien. Bei der öffentlichen Ausschreibung habe eine Baufirma mit schlechtem Ruf das günstigere Angebot eingereicht. Man wollte jedoch unbedingt die Firma mit dem besseren Ruf beauftragen. Das habe eben gedauert. Programmdirektor Luciano Monteagudo schüttelt verständnislos den Kopf. Dass sich ein halbes Jahr überhaupt nichts rührt, sei schon ein starkes Stück. „Das zeigt doch eindeutig, dass der Arbeit, die wir hier leisten, seitens der politisch Verantwortlichen nicht angemessen Respekt gezollt wird. Auch wenn die Unterschriftenaktion keine offizielle Reaktion ausgelöst hat, wurde dann doch endlich mit den Sanierungsarbeiten begonnen.“

Ein Beleg dafür, wie die Verantwortlichen sich die Kulturpolitik vorstellen, ist die für kreative Köpfe nicht nachvollziehbare Entscheidung von Kulturminister Hernán Lombardi, das Tourismussekretariat seinem Ministerium unterzuordnen. Events wie beispielsweise das Tangofestival sollen in erster Linie internationale Aufmerksamkeit auf die Stadt lenken. Für kulturelle Basisversorgung in den einzelnen Stadtvierteln bleibt dagegen immer weniger Geld.

Auch das Bafici, ein renommiertes Festival des unabhängigen Kinos in Lateinamerika, hat eine wichtige Änderung erfahren. Sein Umzug aus dem Stadtteil um das Abasto-Gebäude ins Stadtviertel Recoleta war für viele einem Umzug aus einem sozial gemischten und zentral liegenden Viertel ins Ambiente der oberen Mittel- und Oberklasse. Das führt auch zu Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung des Publikums.

Beim Bafici 2014 fehlte die Sala Lugones erstmals. Auch beim im Oktober stattfindenden internationalen Dokumentarfestival „DocBuenosAires 14“ wird das Kino nicht wie gewohnt Spielstätte sein. „Wir werden mindestens ein komplettes Vorführjahr verlieren“, befürchtet Monteagudo.