Bildband über Gewalt gegen Frauen: Der Alltag nach dem Attentat

Die Fotografin Ann-Christine Woehrl dokumentiert das Schicksal von Frauen, die einen Säure- und Brandanschlag überlebten.

Porträt einer jungen Frau in Kampala (Ausschnitt). Bild: http://edition.lammerhuber.at/buecher/in-visible

Mit dunklen Augen blickt Makima in die Kamera, ein hellgrünes Tuch schmückt ihren Kopf und umrahmt ihr dichtes schwarzes Haar. An ihrem Hals und einer Hand bedecken Verbände offene Wunden. Die Verletzungen in ihrem Gesicht sind abgeheilt, so könnte man sagen. Aber das ist wohl das falsche Wort bei einer Wunde, deren Narben ein Leben lang Schmerzen verursachen werden – physisch wie psychisch.

Eine Säureattacke hat im Antlitz der jungen Inderin Spuren hinterlassen, die nicht mehr zu tilgen sind. Die Entstellung kam über Nacht. Makima hatte den Heiratsantrag eines Mannes aus ihrer Nachbarschaft abgelehnt. Als sie schlief, suchte sie die Mutter des Nachbarn heim und schüttete ihr die Säure ins Gesicht.

Ihr Schicksal ist kein Einzelfall. Jedes Jahr werden weltweit etwa 1.500 Säureanschläge registriert und es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer weit über diese Zahl hinausgeht. Die Opfer sind überwiegend Frauen. Die Täter überwiegend Männer. Wie in Makimas Fall spielen vor allem kulturelle Faktoren wie Mannes- und Familienehre eine Rolle: Frauen werden aufgrund zu geringer Mitgiftzahlungen von ihren Ehemännern angegriffen, aus Eifersucht attackiert oder für Trennungen bestraft.

Säure ist eine zugängliche Ware

Aber auch neidische Ehefrauen, enttäuschte Schwiegermütter oder Exgeliebte werden zu Täterinnen. Insbesondere Länder wie Bangladesch, Indien, Kambodscha, Nepal, Pakistan und Uganda sind betroffen. Durch die breite Verwendung in den ansässigen Textil- und Schmuckindustrien ist Säure dort eine billige und leicht zugängliche Waffe. Auch Autobatterien, die in vielen Haushalten den Strom liefern, werden für die Verbrechen angezapft.

„Un/Sichtbar. Frauen überleben Säure.“ Staatliches Museum für Völkerkunde München. Bis 11. Januar 2015.

Ann-Christine Woehrl, Laura Salm-Reifferscheidt: „In/Visible Un/Sichtbar“. Edition Lammerhuber, 91 Fotos, 212 Seiten, 49,90 Euro

Säure zerstört nicht nur Haut und Gewebe binnen kürzester Zeit, sie ätzt sich durch bis zu den Knochen, zerfrisst Nase und Ohren, zerstört die Augen und entstellt Gesichter bis zur Unkenntlichkeit. Die Betroffenen erleiden einen Gesichtsverlust im doppelten Sinne, denn der Entstellung folgt meist die soziale Isolation. Sie werden in der Öffentlichkeit gemieden und ignoriert; viele gehen nur noch verschleiert auf die Straße oder verlassen aus Scham und Depression jahrelang nicht mehr das Haus – werden gewissermaßen unsichtbar.

Makima ist trotz allem sichtbar; präsent auf dem Cover eines eindrucksvollen Bildbandes und dem Plakat einer ebenso eindrücklichen Fotografieausstellung im Münchner Völkerkundemuseum. Buch und Ausstellung zeigen die Bilder des Projekts „Un/Sichtbar“ der Fotografin Ann-Christine Woehrl. Über zwei Jahre hat sie besonders betroffene Regionen der Welt bereist und Frauen aufgesucht, die Säure- und Brandanschläge überlebten. Achtundvierzig davon hat sie eine Zeit lang begleitet und porträtiert.

Vielen ist sie dabei persönlich nahe gekommen, manchen wie zur besten Freundin geworden – bedacht mit aller Dankbarkeit, dass da jemand ist, der hinsieht, zuhört und wahrnimmt. Dass sich die Frauen so authentisch und selbstbewusst vor der Kamera zeigen, zeugt vom Vertrauen, das in diesen Begegnungen entstanden ist. Es ist aber auch das Ergebnis ihres einsamen Ringens, trotz aller Entstellung wieder zu sich zu stehen.

Bilder, die nicht im Schrecken verharren

Vor schwarzem Hintergrund, gekleidet in farbenprächtige Stoffe, haftet den Porträtierten etwas Feierliches, Ikonenhaftes an. Andere Bilder führen lebensnah in ihren Alltag. Interviews und Texte erweitern diese Einblicke, die intim, aber nie voyeuristisch sind. Ann-Christine Woehrl dokumentiert die Geschichten der Frauen, ihre Schmerzen, Hoffnungen und Wege zurück ins Leben auf sensible Weise. Ihre Fotografien beschönigen nichts, aber sie verharren auch nicht im Schrecken.

Wer den ersten Anblick aushält, kann sich durch sie zu den Persönlichkeiten hinter den beschädigten Gesichtern führen lassen. Dann werden die unsichtbar Gemachten wieder sichtbar. Dann erzählen die Bilder nicht nur von Opfern, sondern auch von Hoffnung und Überlebenswille. Und von der Überwindung der sozialen Isolation. Da ist zum Beispiel die 25 Jahre alte Flavia aus Uganda, die ihr Gesicht jahrelang hinter einem Schleier verbirgt, bis sie sich eines Tages traut, ihn wegzulassen und zum Salsatanzen zu gehen, wo die Männer sie mittlerweile häufig und gerne auffordern.

Oder die gleichaltrige Neehaari in Indien, die in Begleitung der Fotografin zum ersten Mal in der Öffentlichkeit ihre Maskierung abnimmt und diesen Tag zu ihrem persönlichen Unabhängigkeitstag erklärt. Makima ballt selbstbewusst die Finger der verletzten Hand zu einer Faust, etwas von ihrer Schönheit scheint ungebrochen. Mut und Selbstvertrauen – allen widrigen Umständen zum Trotz – ist die Botschaft dieser Bilder.

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