„Wir machen populäres Volkstheater“

BÜHNE Das Prime Time Theater im Wedding spielt seit mehr als elf Jahren die Theater-Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Mit Figuren, die nicht nach dem letzten Grund der Dinge fragen, und doch gut unterhalten

Das Prime Time Theater wurde 2003 von Constanze Behrends und Oliver Tautorat gegründet und spielt seitdem die Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“. Jede Folge wird fünf Tage geprobt und dann fünf Wochen gespielt. Bis zum 1. 11. noch läuft die Folge „Feng Shui für Anfänger“ Donnerstag bis Montag um 20.15 Uhr.

■ „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“: Prime Time Theater, Müllerstraße 163, Eintritt: 8–17 €, Tel. (030) 49 90 79 58, www. primetimetheater.de

VON JANA SITTNICK

Applaus für Rüdiger. Der Saal ist proppenvoll. Rüdiger, Mitte 50, hellblaues Hemd, darf unter dem Johlen der Menge Platz nehmen. Was sonst eher in der Sparte „Mario Barth“ passiert, nämlich den Zuschauer direkt anzunölen, klappt im Prime Time Theater gut. Wenn Kalle die Leute ermahnt, sich endlich hinzusetzen und sie fragt, aus welchem Kiez sie kommen, um ihnen dann quer durch den Saal Süßigkeiten zuzuwerfen.

Kalle Witzkowski mit Vokuhila (vorne-kurz-hinten-lang-Frisur), ist halb Platzanweiser, halb Impresario und der heimliche Star der Theater-Sitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, die seit nunmehr elf Jahren im Prime Time Theater aufgeführt wird. Theaterleiter Oliver Tautorat gibt den lispelnden Berliner Postboten, der in einem Universum voll randgängiger Gestalten den „gesunden Menschenverstand“ besitzt. Und der droht selbst ihm zuweilen abhanden zu kommen.

„Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, kurz „GWSW“, ist das Kernstück des Theaters. Andere Stücke – Krimis, Western und Klassiker-Adaptionen wie Shakespeares „Sommernachtstraum“ und Büchners „Woyzeck“ – gehören zum Repertoire.

Angelehnt an gängige TV-Formate wie Soaps und Sitcoms funktioniert „GWSW“ als endlose Fortsetzungskomödie mit illustrem Figurenpersonal. Es will unterhalten und schlachtet Medien- wie Popkultur aus, komisch und manchmal böse. Mit Kalle, Mahmud und Frau Schinkel, Ulla von der Fleischtheke, Punkerin Ratte oder Pawel, dem polnischen Superhirn.

„Wir machen populäres Volkstheater“, sagt Constanze Behrends, „nah dran am Publikum. Viele unserer Zuschauer gehen sonst eher nicht ins Theater.“ Behrends, die die Stücke schreibt und Regie führt, sieht im Mangel an Unterhaltung einen Grund für die allgemeine Theaterunlust. Sie selbst hatte nach ihrem Abschluss an der Theaterwerkstatt Charlottenburg „keine Lust, das Gretchen an einer Provinzbühne zu geben.“

Das klingt selbstbewusst angesichts der Möglichkeiten, die das auf Unterhaltung geeichte Volkstheater in der Tradition der Commedia dell’Arte bieten kann. Erkenntnisgewinn, das innere Ausloten der Figuren – inklusive Konflikten, deren Bewältigung und Scheitern. Diese Aspekte finden wenig Raum im Wedding. Sie werden auch nicht gesucht. 2003 gründeten Behrends und Tautorat das Prime Time Theater. Zu Beginn spielten sie in einem kleinen Raum mit 35 Stühlen, dann in einem Umspannwerk, und seit 2009 in dem Theater an der Müllerstraße, mit mehr als 200 Plätzen. Das Team besteht heute aus 25 Mitarbeitern, darunter vier feste Ensemble- und zwei Gastschauspieler. Seit dem Wegfall finanzieller Förderung durch den Senat 2011 muss das Theater kostendeckend arbeiten. Die Vorstellungen sind gut besucht.

Bei der Figurenentwicklung stimmt sich Constanze Behrends eng mit den Schauspielern ab. „Ich frage, was wäre deine Traumrolle, und dann schreib ich die Figur auf die Ideen hin.“ Improvisiert wird viel, wenn nötig, nachgebessert. „Manchmal merkt man erst auf der Bühne, was funktioniert“, so Schauspielerin Cynthia Buchheim.

„GWSW“ funktioniert als Endloskomödie mit illustrem Figurenpersonal

Der Rhythmus im Prime Time Theater ist straff: fünf Tage lang wird eine neue Folge geprobt, dann ist Premiere, die Folge läuft fünf Wochen, jeder Schauspieler übernimmt darin drei bis fünf Rollen. „Manchmal komme ich mir vor wie ein Computer, in den man fünf DVDs gleichzeitig steckt“, sagt Schauspiele Philipp Lang, „soviel Input gibt es.“ Dennoch ist es für den Hamburger, der seit 2012 fest im Ensemble spielt, momentan ein Traumjob. „Genauso hab ich mir das vorgestellt, mit dem Entertainmentfaktor, keine langweiligen Stücke mehr.“

Lang spielt in der aktuellen Folge „Feng Shui für Anfänger“ den Aggro Andi, den Rapper Mushido und den Tömle aus Prenzlauer Berg, ein esoterisches Weichei mit Wollmütze, der mit seiner Teresa noch mal ganz von vorn anfangen will. Die beiden saturierten Bildungsbürger lassen eine Feng Shui Beraterin kommen, die ihre Wohnung ausräuchern soll. Ganz klar, dass es dabei zu Verwicklungen und unschönen Entdeckungen kommt.

Multimedial aufgepeppt wird das Spiel durch selbst gedrehte Videoclips, die zeigen, was in der letzten Folge passiert ist, wer mit wem Sex hatte, und wie Vorstadt-Rapper (Mushido und Penissilea) plötzlich zu „Schlagerstars“ werden. Helene Fischer ist nicht weit, und der Faden an absurden Geschichten, die nicht nach dem letzten Grund der Dinge fragen, und doch so gut unterhalten, reißt nicht ab.

Gibt doch die Realität in Wedding und der Welt immer wieder neue Steilvorlagen.