Lieber talentierte Musterschüler

KAMMERPOP Die einen hassen es, die anderen lieben es: Das britische Trio Alt-J begeistert auf seinem zweiten Album mit ausladenden Arrangements und kunstvollen Texten

In all den Samples, elektronischen Geräuschen, Querflöten, Sphärenklängen und Saxofonen, in all den übereinander gelagerten Schichten stecken so viele Popideen wie bei anderen Künstlern in fünf Alben nicht

VON JENS UTHOFF

Alles, bloß nicht belanglos. So könnte man „This is all yours“, das neue Album der britischen Band Alt-J charakterisieren, allein schon aufgrund der großen, teils widersprüchlichen Resonanz, die ihre Musik hervorgerufen hat. Hoben einige Rezensenten das Werk in den Popolymp, verrissen es andere als zu disparat, sodass das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung sich gar verpflichtet sah, eine kleine Apologie zu verfassen.

Es ist tatsächlich nicht so einfach mit „This is all yours“, aber ein gutes Popalbum sollte es einem eben auch nie allzu einfach machen. Die ersten vier Minuten und 39 Sekunden – so lange dauert das Intro – stimmen den Hörer auf etwas ganz Großes ein. Alt-J legen da Gesänge, die wie Gebete anmuten, mit Samples übereinander. Hier setzt ein vertrackter Rhythmus ein, da hört man eine Laute, gefolgt von einem furiosen Finale mit einer Klangmontage aus Chören, übersteuerten Beats und einem Gitarrenlauf. Der zweite Song, „Arrival in Nara“, beginnt dagegen völlig reduziert mit der Variation einer simplen Tonfolge auf dem Klavier. Solche Gegensätze sind es, die die dreizehn Songs des Albums, das insgesamt eine knappe Stunde lang ist, auszeichnen.

Viele hatten schon erwartet, dass dieses zweite Album ein Meisterwerk der Band sein würde, deren hochgelobtes Debüt „An Awesome Wave“ (2012) den Mercury Music Prize gewann. Man könnte sagen, „This is all yours“ ist ein Meisterwerk auf halber Strecke geworden. Ein Album, das zeigt, wie talentiert die zum Trio geschrumpfte Gruppe um Sänger und Gitarrist Joe Newman, Keyboarder Gus Unger-Hamilton und Perkussionist Thom Green ist – und welch großen Klangkosmos sie schafft.

Zur Band wurden Alt-J, als sie sich 2007 an der Universität in Leeds über den Weg liefen und Gitarrist Newman den anderen Dreien (damals war noch Gwil Sainbsbury dabei) seine Songs vorspielte. Die Kunst- und Literaturwissenschaftler siedelten später nach Cambridge über und hatten sich gerade in ihrem Leben als arbeitslose Akademiker eingerichtet, als sie 2011 einen Plattenvertrag unterschrieben.

Das ist auch der Grund, warum Alt-J von Anfang an angefeindet wurden, da sie rüberkamen wie die Klassenbesten aus einer imaginierten Thom-Yorke-Schule – sehr sophisticated und alles andere als Rock ’n’ Roll (dabei ist „Left hand free“ vom neuen Album ein lupenreiner Rock-’n’-Roll-Track).

Hört man „This is all yours“ am Stück, so könnte man auch sagen: Lieber talentierte Musterschüler als die x-te uninspirierte Indierockkappelle. Denn in all den Samples, elektronischen Geräuschen, Querflöten, Sphärenklängen und Saxofonen, in all den übereinander gelagerten Schichten stecken so viele Popideen wie bei anderen Künstlern in fünf Alben nicht – das wiegt alle Vorwürfe vom Hipsterkram bis zur Kunststudentenparty auf.

Die Frage, ob dieses Gemenge, das beeinflusst ist von Blues bis Dub, von Singer-Songwriter über Björk zu Chillwave und auch von Musik aus Nah- und Fernost, als musikalisches Ganzes funktioniert, kann man mit einem halben Ja beantworten.

Alt-J spielen mit den stilistischen Gegensätzlichkeiten und müssen dabei zwangsläufig kapitulieren, denn erwartet man nach dem Intro einen rasanten LSD-Trip, fühlt man sich zwischenzeitlich auf Tranquilizer gesetzt.

Beteiligt an „This is all yours“ sind so unterschiedliche Künstler wie der Songwriter Conor Oberst, die britische Soul-Diva Lianne La Havas und Miley Cyrus. Der Gesang letztgenannter erklingt in dem hypnotisch beginnenden, sich dann langsam steigernden Stück „Hunger of the pine“ als Sample („I’m a female rebel“). Cyrus sei Fan der Band, heißt es. Zumindest ein narrativer Strang führt durch das Album, „This is all yours“ beinhaltet drei Stücke, die sich thematisch mit dem japanischen Ort Nara befassen, einst Hauptstadt im japanischen Kaiserreich zur Zeit des frühen (europäischen) Mittelalters.

Songtexter Newman hat sich von der Geschichte nach eigenen Aussagen genauso inspirieren lassen wie von dem großen Nara-Park, in dem die Hirsche herumstreunen und die ihn über ein Leben in Freiheit haben nachdenken lassen. Mit „The Gospel Of John Hurt“ – Newman schrieb den Text, weil er von einer Szene aus dem ersten „Alien“-Film so beeindruckt war – gibt es dann noch einen so versteckten wie vertrackten Hit. Kurz darauf kehrt man im Finale, „Leaving Nara“, dem japanischen Ort endgültig den Rücken zu.

■ Alt-J: „This is all yours“ (Infectious Music/Pias/Cooperative Music)